28 Mai

Attachment Parenting in der Großfamilie? Unmöglich!!?

Ich werde häufiger gefragt, ob Attachment Parenting mit mehreren, also auch so richtig vielen Kindern in einer Großfamilie möglich sei. Drei, vier, fünf, sechs, sieben Kinder – wie soll das gehen?

Meist fragen Familien mit einem oder zwei noch sehr kleinen Kindern, die oft auch noch am Beginn ihres AP-Weges stehen, ihre Positionen suchen, ihre Haltung hinterfragen, Inspiration wünschen, sich viele Gedanken machen, nicht alles richtig erfassen können. Ich selbst habe ähnlich begonnen, bin meinem Herzen gefolgt, habe erst danach Begrifflichkeiten entdeckt. AP hielt ich erst für einen Katalog zum Abhaken: Familienbett, Langzeitstillen, Tragen… Doch mit dem Wachsen meiner Kinder und dem vermehrten Austausch mit anderen, inspirierenden Eltern, fand ich meine Definition:

Es geht gar nicht um das WAS, sondern nur um das WIE.

Eltern, die AP ablehnen, haben das möglicherweise nicht verstanden. Eltern, die AP leben, es sich jedoch nur im Babyalter und nur mit einem Kind vorstellen können, sind noch auf dem Weg, beim Eingrooven – und laufen eventuell Gefahr, an ihren eigenen Ansprüchen zu ersticken.  Bedürfnis-, Bindungs- und Beziehungsorientierung sind grundlegende Einstellungen, die nie ein Erfüllen von außen herangetragender Kriterien sein sollten, und die nie nur in eine Richtung gehen, nie nur das Kind in den Mittelpunkt stellen. Das ist ein Missverständnis, das zu Eltern führt, die sich Perfektionsdruck machen und an diesem kaputt gehen, weil sie sich selbst vergessen.

Alles im Blick

Wir Bindungsträumer haben aber die Bindungstheorie als unsere Basis, und genau die besagt, dass wir

  • die Kinder angstfrei loslassen,
  • ihnen jederzeit wieder notwendige Sicherheit  geben
  • und ihnen dabei klar als ihr führender Begleiter zur Seite stehen sollen.

Die Mischung macht’s.

Nicht nur behüten. Nicht nur das Umfeld im Auge haben. Nicht nur die Situation abwägen. Nicht nur uns selbst sehen. Sondern alles im Einklang miteinander. Nicht uns vergessen, nicht die anderen, nicht das Kind, um das es gerade geht. Nicht darauf beharren, dass es keine Fehler geben dürfe, dass wir nicht menschlich sein dürfen, nicht auch mal gesund egoistisch.

Die Mischung bezieht uns und alle anderen Betroffenen mit ein. Also auch Geschwister, egal wie viele.

Wenn wir zu allen Kindern gut in Beziehung sind, immer wieder Zeit für qualitativ gute Momente haben, sind wir ihnen gegenüber automatisch achtsam, müssen nicht bei jeder Entscheidung konkret überlegen, ob das jetzt gut oder schlecht für Kind 1, 3 und 6 wäre oder vielleicht nicht – sondern können aus dem Bauch heraus gute Entscheidungen treffen, kluge Urteile fällen, unsere Kinder empathisch begleiten.

Wir können nicht alle gleichzeitig tragen, perfekt einschlafbegleiten, ganz und gar nur ihnen zuhören, denn wir können uns ja nicht teilen. Aber wir können jeden ernst nehmen und miteinander Möglichkeiten ausprobieren, stolpern, es anders versuchen.

Es geht nicht darum, ob das große Kind leidet, wenn das kleine Unterstützung in einer emotionalen Notsituation braucht. Es geht darum, dass unsere Beziehungen so gut sind, dass wir darüber gar nicht nachdenken müssen. Und es geht darum, dass wir mit uns selbst so im Reinen sind, auf unsere eigenen Bedürfnisse hören, so dass wir ausreichend Kraft für diese Mammutaufgabe haben.

Es wird mit einem oder acht Kindern keinen Alltag ohne Konflikte geben. Es geht ausschließlich darum, auf Augenhöhe und wertschätzend zu kommunizieren, ehrlich auch zu sich selbst zu sein, niemanden verbiegen zu wollen – auch nicht sich selbst!

Der Alltagskampf

Ist das nicht fürchterlich anstrengend?

Ist das Leben mit nur einem Baby nicht auch fürchterlich anstrengend? Wäre das Leben als ignorantes, gefühlskaltes, ständig brüllendes und strafendes Elternteil nicht auch fürchterlich anstrengend? Ist das Leben selbst nicht immer wieder fürchterlich anstrengend? Doch, genauso ist es. Und Attachment Parenting ist einer dieser möglichen, wählbaren anstrengenden Lebenswege. Arbeit. Leben. Miteinander sein.

Wenn man verstanden hat, dass es um das Wie geht, dass es mehr Haltung als konkretes Tun ist, ist in einer Attachment Parenting lebenden Familie theoretisch Platz für eine ganze Fußballmannschaft! Die eigenen Kraftressourcen und -bedürfnisse können dies einschränken, nicht aber die Tatsache, dass man sich für AP entschieden hat. Es müssen nie alle Bedürfnisse abgedeckt werden – das geht nie, egal, wie viele Beteiligte da sind, aber alle müssen sich gesehen, ernst genommen und liebevoll umschlossen fühlen.

Dass man an diesen Punkt kommt ist bei allen Familien ein gewisser Prozess. Die Gelassenheit wächst, die eigene Sicherheit steigt, das Vertrauen in die Kinder bildet sich aus. Man übt das Inbeziehunggehen, vermeidet mancherlei Situationen und kreiert dafür andere bewusst. Unterwegs gibt es Tränen und man lässt viele Nerven, es gibt Wut und Drama, es braucht Authentizität statt Perfektion und das Nutzen von Konflikten als Chance auf eine Verbesserung.

Am Ende gilt in der Groß- wie in der Kleinfamilie nur die Maxime von Renz-Polster und Imlau:

„Das Einzige, was zählt, ist, wie wir miteinander umgehen.“

(Zitat aus: Schlaf gut, Baby!)