Wenn wir über das Stillen sprechen, schwingt da immer auch ein Abschied mit. Auch die längste und schönste Stillzeit geht irgendwann mal zu Ende.
Wie so viele Stillende hatte auch ich ursprünglich die Vorstellung, ja den Anspruch an mich, meine Tochter so lange zu stillen, bis sie sich von selbst abstillt. Eines Tages würde ihr Bedürfnis gestillt sein (es heißt ja nicht umsonst so), und dann würde sie ohne mein Zutun und ohne Zetern und Klagen glücklich und zufrieden davon ablassen. Ein anderer Weg erschien mir nicht möglich. Das natürliche Abstillen dagegen, im natürlichen Abstillalter ausschließlich vom Kind ausgehend, war der heilige Gral.
Gerade in bindungsorientierten Kreisen begegnet uns diese Vorstellung sehr häufig.
„Gestillte Bedürfnisse verschwinden, ungestillte tauchen immer wieder auf“. Unter diesem Narrativ wird das Bedürfnis gestillt zu werden geradezu als lebensentscheidend angesehen.
Ja, unter meinen Kolleg:innen in der Stillberatung gibt es sogar welche, die ausdrücklich nicht zum Abstillen beraten. Das aktive Abstillen, also das nicht vom Kind ausgehende, wird gelegentlich sogar als Gewalt bezeichnet.
Doch ist das wirklich so?
Bleibt bei Kindern, die aktiv abgestillt werden, anschließend ein ungestilltes Bedürfnis zurück, das den Rest ihres Lebens immer wieder aufploppt und ein Gefühl der Leere und der Unvollkommenheit verursacht? Das grundsätzlich dazu führt, dass ungesunden Ablenkungs- und Bewältigungsstrategien Tür und Tor geöffnet wird? Gibt es wirklich nur diesen einen Weg, wenn man sein Kind bindungs- und bedürfnisorientiert begleiten möchte?
Das wäre furchtbar!
Das hieße ja, dass sämtliche aktiv abgestillten Kinder ungestillte Bedürfnisse hätten. Und die formulaernährten Kinder erst, die wären dann allesamt rettungslos verloren!
Die gute Nachricht ist: Stillen ist überhaupt kein Bedürfnis.
Stillen ist eine super Strategie, um alle möglichen Bedürfnisse auf einen Schlag zu stillen: Hunger, Durst, Beruhigung, Nähe, Körperkontakt, Sicherheit, Bindung…all das sind echte Bedürfnisse und bei all denen hilft Stillen.
Aber nicht ausschließlich, denn all diese Bedürfnisse kann man auch anders erfüllen und das Stillen von vornherein oder nach und nach damit ersetzen. Pre-Fläschchen oder Käsebrot, Wasser, Kuscheln, Tragen, Kuscheltier oder Schnuffeltuch…für alles gibt es eine Alternative. Natürlich wird das Kind kaum ohne jeglichen Protest darauf reagieren, aber das ist okay! Solange es in seinen Bedürfnissen gesehen und begleitet wird, wird es keinen Schaden nehmen.
Damit will ich in keiner Weise die vielen positiven Aspekte des (langen) Stillens schmälern.
Aber wer wahrnimmt, dass die eigenen Bedürfnisse zu kurz kommen und sich durch das Stillen belastet fühlt, soll auch kein schlechtes Gewissen haben müssen, wenn er/sie einen anderen Weg geht. Deshalb ist man nicht weniger bindungsorientiert.
Ich habe damals sehr lange mit mir gerungen, als ich nach über dreijähriger Stillzeit nicht mehr wollte. Viele Wochen habe ich gebraucht, bis ich mich dazu durchringen konnte, meine Tochter aktiv abzustillen.
Ich hatte das Gefühl, zu versagen.
Ich hatte Angst, meine Sache als Mutter nicht gut genug zu machen, und in der „AP-Szene“ dafür an den Pranger gestellt zu werden.
Nach drei Jahren und neun Monaten war ich dann so weit. Und am Ende war es ganz leicht.