15 Jan

Der sichere Hafen für unsere wütenden Matrosen

Ich weiß noch, wie ich mich gefühlt habe, als mein Kind mich zum ersten mal mit einem bitterbösen Wort betitelt hat und weggerannt ist. Eigentlich eher mich zur Hölle gewünscht hat. Und neue Eltern wollte. In mir tobte damals ein heftiger Kampf aus Verständnisaufbringen und Zutodebeleidigtsein.

Inzwischen weiß ich, dass eigentlich alle Eltern diese Momente kennen. Das Problem daran ist, dass bei etlichen das Beleidigtsein gewinnt. Sie nehmen das Gesagte persönlich. Sie nehmen ihrem Kind die gezeigte kalte Schulter, die Ablehnung übel.

Ich wünsche mir, dass alle Eltern es besser wissen können. Niemand wird in solchen Momenten immer zugewandt und verständnisvoll reagieren können, aber wenn wir es oft schaffen und bei den anderen Malen später reflekieren und wieder einen Schritt auf das Kind zu machen können, reicht das schon aus. Für das gute Band, die sichere Bindung.

Unser Kind kann seine Wut in solchen Momenten noch nicht anders zeigen, verbalisiert schlichtweg Frust und Ärger auf seine Art. Im Prinzip ist es das gleiche wie wenn es übermüdet ist, aber noch nicht selbst fähig, sich Ruhe zu nehmen, sondern stattdessen hilflos immer unangenehm-aktiver wird und unsere Co-Regulierung braucht.

 

Wurzeln und Flügel

Aus bindungsthoretischer Sicht kann man den so genannten „Kreis der Sicherheit“ (mehr hier) unseren gelungenen Eltern-Kind-Bindungen zu Grunde legen. Das heißt wir Eltern sind die sichere, zuverlässige Basis fürs Kind, zu der es immer zurück kann. Wegen dieser Basis kann das Kind losziehen und die Welt erkunden – und jederzeit zurückkehren und Nähe und Hilfe suchen. Wir sind dabei und versuchen zu schauen, was davon es gerade möchte, und versuchen, dies wann immer möglich zu geben.

Dabei ist es an uns als Bezugsperson, die Gefühle des Kindes zu akzeptieren, egal ob sie uns gefallen oder nicht. Das kann Wut sein, Trauer, Frust, übermäßige Freude…

Auch eine Abwendung in Form eines Ausbruchs oder eines Weggehens o.ä. (wie eingangs beschrieben) ist so ein Gefühl, dass wir akzeptieren müssen und nur co-regulieren sollten, wenn Gefahr besteht.

Wir tun nicht nichts, wenn wir dann einfach nur dabeisitzen und mitfühlen. Wir sind nicht bloße Zuschauer, die ignorieren – oder aber sich auf der Nase herumtanzen lassen. Wir tun etwas Großes für die Kinder: wir sind bei ihnen, mit ihnen, akzeptieren sie – und sind sofort parat, wenn sie den sicheren Bindungshafen wieder benötigen. (Mehr dazu auch hier.)

Beleidigte Leberwurst? Hab-mich-jetzt-lieb-Zwänge?

Würden wir immer beleidigt sein und weggehen, wenn sie sich vermeintlich gegen uns stellen oder sich von uns wegdrehen, würden wir sie verlassen.

Würden wir sie immer „zwingen“, sich in den Arm nehmen zu lassen oder sich von uns mit Worten erklären zu lassen, was wohl los ist, obwohl sie das gerade offensichtlich nicht wollen – würde sich das also als „Muster“ bei  uns einspielen, würden wir gegen unsere Kinder anarbeiten. Gegen ihre Kompetenz und ihr sich noch entwickelndes Selbstvertrauen. Gegen ihre sich langsam ausformende Selbstberuhigungskompetenz. Gegen den „Kreis der Bindung“.

Wir sollten also dort bleiben, nah bleiben. Erreichbar sein. Mitfühlen. Versuchen uns selbst zu beruhigen und nicht in die „Wie Du mir, so ich Dir“-Falle tappen. Wir können Umarmungen, Worte, Ablenkung anbieten, wenn es wieder passend erscheint – und  warten bis die Kinder das wieder annehmen können. Wir können auch formulieren, dass wir verunsichert sind, und nachforschen, was eigentlich Sache ist – denn Beschimpfungen sind in der Regel nie einfach Boshaftigkeiten.

So kann man aus bindungstheoretischer Sicht nichts falsch machen. Man ist da.

Wir sind der Hafen mit dem Ankerplatz. Und die Kinder müssen selbst herausfinden, wann sie anlegen mögen.