01 Nov

Die Schule und die starken Kinder

Beim Einkauf in unserem kleinen Mühlenladen fragt mich die Müllerin, ob ich ein wenig Zeit mitgebracht hätte. Dann würde sie mir noch eine Brotmischung fertigmahlen können. Ich bejahe das mit der Aussage: „Das ist kein Problem. Wir haben ja Ferien. Da ist alles ganz stressfrei.“ Ein Fremder, der hinter mir wartet, grätscht ins Gespräch: „Die Ferien sind bei Ihnen entspannt? Wie haben Sie das denn hinbekommen?“ Die Verkäuferin entgegnet über meinen Kopf hinweg: „Erziehung!“, aber ich erkläre: „Also eigentlich sind alle nur froh, dass keine Schule ist. Sie spielen vorm Ofen mit Playmobil und genießen den Schlafanzugtag.“

Eigentlich kommen meine Kinder sehr gut mit der Schule zurecht und gehen auch nicht ungerne hin. Und trotzdem sind sie froh, dem System in den Ferien kurz zu entkommen. Wie jeder Arbeitnehmer wohl auch. Und trotzdem ist es etwas anderes: die Schule, die ersten Lebensjahre, wo die Welt uns offensteht, wir sie entdecken können, wir auch richtig Lernlust und Neugier haben, können wir nicht so frei wählen, wie es später im Berufsleben möglich sein kann. Klar gibt es auch dann noch viele, die in einem Job stecken, der sie auffrisst, aber es liegt in unserer Eigenverantwortung und unserem Antrieb, daran etwas zu ändern, wenn die äußeren Umstände nicht absolut dagegensprechen.

In der Schule sind wir ziemlich festgelegt auf das bestehende System in unserem Land. Natürlich gibt es unterschiedliche Schulen, aber doch viele Vorgaben – und viele „Gewohnheiten“. Ich finde die Schulpflicht hierzulande richtig und wichtig, aber ich freue mich, dass da auch etwas passiert:

Das Schuljahr ist jetzt einige Wochen alt, und in mehreren geschlossenen Gruppen und Foren lese ich Beiträge über Kinder, die Lehrerrückmeldungen in Elternbriefen oder Hausaufgabenheften bekommen haben, die zeigen, dass sie das Gegebene nicht einfach hinnehmen – die zeigen, dass da Kinder sind, die sehr selbständig denken und fühlen und dies auch respektvoll ausdrücken können und tun!

Das sind immer Momentaufnahmen von Kindern, die etwas ablehnen, kritisieren, in Frage stellen, aber nicht auf die so gern darin gesehene „tyrannische“ Art. Da wird nicht geschrien, gehauen, abgelehnt, sich körperlich widersetzt, emotional verkümmert getobt. Nein, in den Fällen, die ich meine, wird höflich angesprochen, erklärt, aufgeweckt nachgebohrt.

Ich habe das Gefühl, die Kinder dieser Gruppeneltern, die wir seit ihrer Geburt eng begleiten, bindungsorientiert, mit Wert auf Kommunikation gelegt, wenn nötig reguliert, mit Empathie und mit Bedacht auf unsere und ihre Grenzen – diese Kinder kommen in den Schulen an und zeigen sich.

 

Im Geheimen

Ich bin ganz froh, dass diese Beiträge, die ich beim Schreiben im Kopf habe und die teilweise von Fotos begleitet waren, in geschlossenen Gruppen veröffentlicht wurden und dort „sicher“ sind. Ohne Geschichte dahinter in der raschen Kommunikation mittels Tweets oder Facebook-Spruchbildchen würden sie zerrissen werden, verlacht oder sogar umgedeutet. Die ewige Tyrannen- und Verzärtelungsangst. Das ewige Herumreiten auf den egoistischen Kindern, die nicht hören, sich nicht anpassen, die nur anstrengend sind.

Ich aber freue mich über die kleinen Begebenheiten. Wo Kinder clever um die Ecke denken, wo Kinder klug abwarten und auf nette Art Genaueres wissen wollen, bevor sie etwas tun. – Was bitte könnten wir uns Besseres wünschen?

Und die armen Lehrer?

Ja, die Lehrer tun mir leid dabei. Es gibt sicher welche, die empfinden das als unmöglich und absolut ungehörig; da kann  man kaum helfen. Die halten stur und hart dagegen.

Aber es gibt auch welche, die finden das eigentlich toll. Die sehen diese Kinder und berichten im Elterngespräch sehr viel Positives von dem Wirbelwind, der genau hinschaut und mit tollen Fragen bereichern kann.

Doch diese Lehrer stehen zwischen vielen Stühlen und unter Druck. Der Lehrplan muss geschafft werden. Das Direktorat hat Erwartungen. Eine Klasse von 30 Kindern muss diszipliniert werden. Wo bleibt da Raum für starke, wache, selbstbestimmte Kinder? Gibt man diesen Platz, kommen die Eltern von mindestens 5 anderen Erstklässlern an und melden Bedenken an, ob ihr Kind denn auch genug gefördert würde – und ob solche „Gören“ nicht am Ende ihr Kind um die Gymnasialempfehlung bringen werden. In 3 Jahren.

Puh. Da möchte ich nicht tauschen.

 

Revolution?

Und trotzdem ist es gut. Dass unsere starken Kinder mit Respekt in die Welt gehen und Fragen stellen. Vielleich ändert sich etwas – an manchen Stellen passiert das schon! Vielleicht haben sie es jetzt schwer, aber treten den Weg breiter für die nächsten und die übernächsten Kinder. Vielleicht kann das System Schule bei uns kindgerechter werden. Individueller. Lust- und Neugier-erhaltender.

Ein guter Wunsch!