17 Nov

Es jodelt die Schwedin im Allgäu – „Pornographie“ damals und heute: Aufklärung und Schutz für Kinder und Jugendliche

Weißt Du noch, wann Du zum ersten Mal mit Pornographie in Kontakt gekommen bist? Ich habe mich mal umgehört bei anderen Eltern in meinem Alter, und bei den meisten war es frühestens am Ende der Pubertät. Man kam nicht leicht dran, es war nicht präsent. Ohne irgendwelche Kontakte zu Älteren oder zufällige Funde im Elternhaus (oder im Altpapier des Nachbarn) traf man höchstens auf Softes, Sat1 Sexkomödien um 23 Uhr – Sexualität in einer Darstellung, wie sie heute quasi jeder zweite Spielfilm mit FSK 12 zeigt.

Für die jetzigen Kinder und Jugendlichen ist das anders. Dank Internet ist alles möglich – viel, viel früher. Im Zuge meiner Lesungen zum Pubertätsratgeber und manchem Beratungsgespräch zum Teeniealter war deutlich zu spüren, dass auch Pornographie ein Thema ist, das Eltern sorgt, teilweise ähnlich stark wie Alkohol, Mediensucht oder Aggressionen und Delinquenz. Die großen Ängste um die Teenager*innen!

In meinem Pubertätsratgeber („Miteinander durch die Pubertät“, humboldt 2020) befasse ich mich mit Liebe, Sex, Beziehungen und Liebeskummer als typische Themen fürs Jugendalter. Die Prophylaxe, die man seinem Kind hier in Beziehung und durch (altersangepasstes, aber frühzeitiges und unverklemmtes!) Informieren sowie Vorleben mitgeben kann (vgl. S. 139-141 im Buch), und auch die Rückenstärkung, die ich erläutere in Bezug auf Suchtverhalten allgemein (vgl. S. 96-106) sind wichtige Grundlagen, damit Eltern ihre Angst vor negativen Auswirkungen auf die Entwicklung ihres Kindes durch frühes Zusammentreffen mit Pornographie zurückschrauben können.

Vorbeugen

Prophylaxe braucht:

  • Mitgefühl mit anderen Menschen durch Empathieschulung und ein gutes Wahrnehmen sowie Äußernkönnen der eigenen Gefühlswelt, um im Fall der Fälle beispielsweise gewalttätige Inhalte, Widerrechtliches und Unfreiwilligkeit spüren und benennen zu können
  • Konfliktfähigkeit, lösungsorientierte Kommunikation, kritisch sein und Nein sagen dürfen zu Hause, um sich ggf. auch draußen abgrenzen zu können
  • ein gutes Bindungsnetz, Freundschaften und Ausleben eigener Talente – für einen gesunden Selbstwert, um sich nicht über den Besitz von pornographischem Material Aufmerksamkeit und Bestätigung suchen zu müssen
  • Handlungsspielräume, um sich als aktiv und auch in bestimmten Bereichen erwachsen zu erleben und sich diese Gefühle nicht über kritische Pornographie oder übermäßigen Konsum holen zu müssen
  • Respekt in der Familie und für Fremde ohne sexistische oder anders diskriminierende Ausrichtung in Handeln und Sprache
  • erlebtes Vertrauen, damit Kinder und Jugendliche sich uns anvertrauen mögen und wir mit ihren Fragen und ihrer Neugier auch rund um Pornographie umgehen können sowie sie unsere Ideen für weitere Informationssuche ohne uns annehmen mögen
  • gespürte Nähe, in der auch Körper, Liebe, Sexualität und Pornographie ganz normale, tabufreie Sachthemen sind – Aufklärung sollte (immer altersgerecht formuliert) im Alltag erfolgen oder auch auf Ansprache, wenn Themen aus dem Kindergarten oder vom Schulhof heimgetragen werden (Podcast-Tipp zum Thema: „Aufklärung und Sexualität von Kindern“ beim Gewünschtesten Wunschkind)
  • Medienkompetenz durch die Begleitung interessierter Eltern

Im Fall der Fälle

Kommt Dein Kind oder der/die Teenager*in zu Dir und erzählt von pornographischem Material oder bemerkst Du die Nutzung und möchtest es thematisieren, ist es wichtig, gut zuhörend zu begleiten und zu informieren.

  • Fühlt sich dein Kind mit dem Gesehenen unwohl, erkläre diese Kunstwelt, grenze sie ab zu echtem Leben. Es sollte wissen, dass es Dich informieren soll, wenn es ungewollt Pornographisches erhält. Fühl Dich ein, ob Dein Kind von anderen unter Druck gesetzt wird hinsichtlich des Konsumierens.
  • Erwähne, dass hier die Vorlieben sehr unterschiedlich sind wie auch bei Literatur oder Musik: Jedem gefällt hier etwas anderes und das ist okay. Ist dein Kind prophylaktisch (s.o.) gut vorbereitet, sind ungute Entwicklungen eher unwahrscheinlich, und gegen eine lustvolle Nutzung von okayem Material im Zuge der geschlechtlichen Entwicklung spricht ja nichts.
  • Aber redet auch über mögliche Gewalt, Illegales, Widerrechtliches. Betone die Freiwilligkeit als Basis für sexuelle Handlungen – dies ist ein Aspekt, der schon frühzeitig in Eurem Umgang mit Körperlichkeit zur Sprache kommen sollte.
  • Sprich über Gefahren für die kindliche Entwicklung und findet im Konsens eine Lösung für den weiteren Umgang mit pornographischem Material. Eine Gefahr ist auch das Teilen möglicher eigener Aufnahmen – redet darüber! Ein Bild oder Video, das Dein Kind nicht am schwarzen Brett in der Schule aufgehängt wissen möchte, sollte es auch nicht an die beste Freundin im Chat schicken!
  • Verfalle nicht in Tabuisierungen oder gar ins Strafen und „Davon will ich nichts wissen!“ Dein Kind hat hier ein Thema, will vielleicht einfach nur Fragen klären, bestimmte Dinge visualisiert haben oder hat Freude an manchem. Deine Aufklärung hilft beim Einordnen, und wenn Du Deinem/r Teenager*in gute weiterführende Informationsstellen (z.B. profamilia) benennst, kann es sich da allein oder mit Freund*innen auf eine gute weitere Suche machen.

Kinder und Jugendliche kommen heute immer früher mit Pornographie in Kontakt, aber Studien können uns beruhigen: Die sexuelle Aktivität beginnt dadurch nicht früher (und unbedachter). Pornographische Inhalte beeinflussen unsere Kinder weniger stark als vorgelebte Beziehungen, rollenklischeefreies Leben der Erwachsenen, sexismusfreie Elternhäuser und ähnliches.

Ich habe Alexandra Martini von Radio Bayern 2 ein Interview zum Thema gegeben, das im Rahmen der Sendung „Notizbuch“ zu hören war.

Hilfreiche Adressen für Eltern und Kinder bzw. Teenager*innen rund um Aufklärung, Sexualität, sexualisierte Gewalt, aber auch ungewollte Schwangerschaft und Geschlechtsidentität  findet Ihr hier:

IH

(Alle Fotos im Beitrag wurden uns von einer Leserin zur Verfügung gestellt und sind privat.)