20 Okt

Ich will mein Kind nicht ziehen – und Du?

Eine liebe Freundin hat mich zum Nachdenken gebracht, als sie zu mir sagte, sie könne sich nicht vorstellen, dass ich meine Kinder „erziehe“. Ich war natürlich überzeugt davon, dass ich dies tue. Aber ZIEHEN…? Hm. Es ging um den Begriff; wir haben uns darüber ausgetauscht, und für sie hatte das Ziehen/Erziehen die Bedeutung von „die Person verändern wollen“. Mich hingegen nahm sie eher als jemanden wahr, der stattdessen vor allem glückliche Kinder ins Leben BEGLEITEN wolle, hilfreich neben ihnen herliefe, aber eben ohne Zwang, ohne den Gedanken, ihr Wesen verändern oder gar ihren Willen brechen zu wollen.

Ui, das gab mir viel zu denken. Ja, das klang nach meinem Wunschweg! Aber schaffe ich das wirklich so? Was heißt das überhaupt genau?

Die Frage der Fragen:

Gibt es ein Zwischending bei „Zwang“ und „sich auf der Nase herumtanzen lassen“?

Ich glaube daran!

Wie ist es bei Euch? Wie ist Eure Haltung gegenüber Euren Kindern? Gebt Ihr ihnen das Gefühl, dass sie gut sind, so wie ihr Wesen ist, und dass Ihr sie nur begleitet auf dem Weg in ein Leben in der Gesellschaft, mit der sie zurechtkommen müssen – aber von der sie sich nicht verbiegen lassen sollten? Gebt Ihr Tipps und Anregungen, erklärt Sinnhaftigkeit und Bedürfnisse anderer anstatt zu fordern und zu drücken? Zeigt Ihr Euch „mitfühlend“, wenn Eure Kinder anders laufen?

Oder zeigt Ihr Euch enttäuscht? Müssen Eure Kinder doch manchmal „abliefern“, Erwartungen gänzlich gegen ihr Wesen erfüllen, „etwas leisten“, um ungestört gezeigt zu bekommen, dass sie geliebt werden?

Mein Wunsch ist es, meinen Kindern etwas zu schenken: ich möchte versuchen, zu allererst mich in unglücklich laufenden Situationen zu hinterfragen. Meine Erwartungen. Macht mein Kind wirklich etwas „falsch“? Ich möchte nicht zuerst das Kind anzweifeln. Schauen wir stattdessen lieber unsere Erwartungen an. An ihre Leistungen. An das „man müsste“, „man sollte schon können in dem Alter“. An die Gesellschaft. An unsere Traumvorstellungen.

 

Was erhalten wir dann?

Ohne Zwang glückliche Kinder, da wir ihren Wesenskern annehmen und damit arbeiten in unserer Aufgabe als Eltern.

Ganz sicher erhält man auch komplizierte Wege, gerade wenn ein Kind nicht „funktioniert“, nicht funktionieren will oder kann. Denn man muss reden, sich einfühlen, hinsehen, gemeinsame Lösungen suchen, ausprobieren, nochmal von vorn beginnen… Aber: man erhält auch VERTRAUEN! Die Basis für so vieles, was noch kommen wird.

Es kommt immer drauf an, wie man auf die Kinder zugeht, wie man argumentiert. Kein „man muss“ oder „du sollst“. Sondern „Ich sehe Dich und was Du brauchst.“ Und „Schau mal, was wir anderen hier brauchen.“ Und Ideen geben oder gemeinsam suchen: „Ich denke, dies könnte hier hilfreich sein. Was fällt Dir noch ein?“ Es ist ein Konsensfinden. Ihr bleibt der „Leitwolf“, wie Juul es nannte, der Leuchtturm für die Kinder; aber sie sind nicht Eure Spielbälle.

 

Das klingt nach Arbeit!

Von außen betrachtet klingt das nach einem anstrengenden Weg. Und das ist es auch. Das Leben mit Kindern ist keine Margarinewerbung. Einen lockeren Spaziergang und ein „Es muss doch jetzt endlich mal gut sein!“ kann niemand erwarten. Auch im Miteinander von Erwachsenen ist nie ewig alles eitel Sonnenschein; Partnerschaft, Freunde, Kollegen – wo Menschen sind, wird sich gerieben, sind Kompromisse nötig. Und Konsens ist immer besser als Machtausnutzen!

Mit dieser Art des Agierens und Umgehens miteinander zeigen wir Eltern Respekt und Liebe. Wir geben den Kindern die Möglichkeit, Selbstbewusstsein und Stärke zu entwickeln – und natürlich auch Empathie durch das Kompromissesuchen und Aufzeigen anderer Ansichten un Bedürfnisse.

Eure Kinder werden so stark werden können und nicht gebrochen. Sie werden die Kräftigen sein können, wenn unempathische Mobber kommen. Sie werden diejenigen sein können, die mitfühlen, helfen und Rückgrat haben, um nicht mitzulaufen, sondern selbst zu denken und den Mund aufzumachen. – So erlebe ich es hier bei uns immer wieder.

Das ist definitiv nicht immer zu unserem elterlichen Vorteil! Starke Kinder fordern ihren Raum. Aber ewig im Vorteil und im Recht zu sein – das ist auch nicht, was ich möchte. Duckmäuser, Ja-Sager, Schweiger mögen angenehm und simpel zu händeln sein, doch solch ein Dasein wünsche ich meinen Kindern nicht. Meine Kinder sollen sie selbst sein können, soweit es geht – mit Rücksicht und Empathie.

Ich schätze den Tweet der @Hauptstadtgoere: 

„Man muss aus Kindern keine guten Menschen machen. Das sind sie schon längst. Man muss nur aufpassen, dass sie es bleiben.“

 

Mein Fazit

Ich will nicht ziehen, nicht zwingen, nicht verbiegen. Ich will achtsam begleiten, vorleben, anleiten, spiegeln, erklären, auch selbst gesehen werden, mich reiben, Lösungen finden…

Dass es einfach und stressfrei werden würde, hat niemand versprochen.

Zieht Ihr noch?

IH

Ein Gedanke zu „Ich will mein Kind nicht ziehen – und Du?

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