25 Aug

Schublade auf – ARSCHLOCHKIND – Schublade zu!

Immer wieder stolpere ich irgendwo über den Begriff „Arschlochkind“. Nutzt den ein Comedian, ist er vielleicht noch igendwie lustig; nutzt ihn jemand im Bekanntenkreis, weiß man, welche Art von Verhalten da besprochen wird. Aber eigentlich mag ich den Begriff „Arschlochkind“ nicht.

Denn er klingt so nach Schublade, legt ein Kind fest und ist ein ungerechfertigter Stempel, der nur nach oberflächlicher Betrachtung vergeben wurde.

Die Kinder sind nicht einfach so.

Sie wurden so gemacht. Durch zu wenig Liebe und Vernachlässigung vielleicht. Oder durch zu viel „falsche Liebe“ in Form von materiellem Überfluss bei emotionalem Mangel. Oder durch missverstandenes Vorbereiten auf die Welt in Form von Härte, Inkonsequenz, Aggression.

Durch überforderte Eltern, denen ein Netzwerk fehlt. Oder durch ein unwilliges Umfeld, das keine Hilfestellungen gibt.

Oder oder. Vieles ist denkbar.

Schublade auf, Etikett drauf – Sache erledigt?!

„Arschlochkind“ zu sagen, kratzt nur an der obersten, sichtbaren Schicht. Es beschreibt, wie man selbst ein Verhalten empfindet – und stempelt die Person ab. Das nervige Blag. Der hinterhältige Kerl. Der fiese Typ. Das aggressive Ding.

Ein Etikett hilft aber nicht. Dem Kind zumindest nicht, auch nicht der Situation. Nur kurzfristig hilft es uns vielleicht: Stempel drauf, abgehakt, man muss sich nicht mehr damit befassen, kann genervt sein oder den Rücken hindrehen und ist fein raus.

Auf dem Spielplatz, im Schwimmbad, im Restaurant, beim Schulfest, beim Kindergeburtstag, im Freundeskreis.

Das reicht dem Bindungsträumer aber nicht!

 

Was möchte der Bindungsträumer tun?

Er möchte tiefer gehen, genauer hinschauen. Wenn er Zeit und Kraft hat, die Situation gelassen angehen kann. Und meist auch wenn das betreffende Kind immer wieder seinen Weg kreuzen wird. Manchmal aber auch in einmaligen Begegnungen.

Der Bindungsträumer möchte in Beziehung gehen. Ein hohes Ziel, ein großer Wunsch – der in 9 von 10 Fällen im Alltag vielleicht nicht möglich ist. Aber bei diesem einen Mal täte er schon etwas Gutes. Das Kind würde nicht abgewertet und gelabelt.

Man muss sich dafür anstrengen und auf ein solches Kind zu gehen, schauen, wie man es erreichen kann. Und manchmal hat man Glück: dann erlebt man, wie ein eben noch nervtötendes Kind aufmerksam wird, wenn ihm jemand wirklich zuhört, selbst klare Aussagen trifft und ihm die Welt erklärt. Wenn ein Erwachsener echt versucht, seine kindlichen Bedürfnisse zu sehen – aber auch eigene äußert und in Kommunikation durchsetzt. Wenn ein Großer sich echt Zeit nimmt und einfühlt.

Habt Ihr das schon mal gemacht? Einfach mal bewusst probieren. Warum ist das Kind wie es ist, und kann ich vielleicht helfen, indem ich zugewandt, aber klar bin?

 

Und dann ist alles nett und jeder mag plötzlich jeden?

Ein Gespräch, ein Moment in Beziehung wird nicht viel ausrichten können. Aber vielleicht ein bisschen. Vielleicht ergeben sich ja auch, je nach Konstellationen, mehrere solcher Momente mit diesem Kind. Und vielleicht sehen auch Eure Kinder wie Ihr agiert und können Ihrerseits so durchs Leben gehen, anstatt die Schubalden zu öffnen und alle Menschen hastig einzusortieren.

Und nein, mögen muss man nicht jedes Kind. Manchmal entwickelt sich das vielleicht und Sympathie keimt auf, aber oft wird eine Antipathie auch bleiben. Und das ist okay. Das ist bei allen Menschen so: den Kindern wie den Erwachsenen.

Aber genauer hinzusehen statt schlicht abzustempeln – das ist eine gute Grundhaltung für Begegnungen aller Art, für Groß und Klein. Man selbst wünscht sich doch auch, dass das eigene Kind, das ggf. ja ebenso manchen Menschen manchmal unangenehm erscheint, so aufgefangen wird – und nicht intolerant, respektlos und oberflächlich bewertet. Oder man selbst sogar, wenn man anderen unangenehm auffällt.

„Für einen Umgang miteinander auf Augenhöhe und in Gleichwürdigkeit“ – wie ihn unser Manifest beschreibt.

„Wir halten Kinder für eigenständige und von Geburt an kompetente Menschen, die wir in ihren Bedürfnissen und mit ihren Gefühlen ernst nehmen. Wir vertrauen ihnen, dass sie immer und in jeder Situation ihr Bestes geben. Wenn Kinder sich nicht so verhalten, wie wir uns das wünschen, verurteilen wir sie nicht für ihr „Fehlverhalten“. Wir versuchen zu verstehen, was zu diesem Verhalten geführt hat und ob wir es vielleicht sogar selbst verursacht haben. Wir wissen, dass ein „Fehlverhalten“ immer darauf hindeutet, dass wichtige Bedürfnisse nicht erfüllt wurden. Wir Erwachsenen tragen immer die Verantwortung für die Atmosphäre in der Familie.“

IH