21 Apr

Stell Dich an die Seite Deines Kindes! Ein Plädoyer gegen psychische Gewalt

Du denkst, Du siehst nicht richtig, als Du zum Abholen in den Kindergarten kommst. Dein Kind sitzt zusammengekauert auf einem Stuhl, den Kopf in den Armen verborgen, und schluchzt leise. Über ihm, mit drohend erhobenem Zeigefinger, steht die Erzieherin und herrscht es an mit den Worten „Wage es nicht! Wage es bloß nicht!“ Von diesem Stuhl hast Du schon öfter gehört, aber Dein Kind jetzt so eingeschüchtert, bedroht und verängstigt zu erleben, treibt Dir die Tränen in die Augen.

Einen Moment lang wärst Du fast verbal ausfallend geworden, entscheidest Dich dann aber dafür, erst einmal nur Dein Kind zu beschützen und zu trösten und Dir dann in Ruhe zu überlegen, was nach diesem Erlebnis zu tun sei. Noch Stunden später ist Dein Kind völlig verstört.

Ja, Du denkst hier wirklich an Beschützen. Kein anderes Wort wäre besser geeignet. Was Dein Kind da erleben musste, war Gewalt! Und vor Gewalt müssen Kinder beschützt werden.

 

Gerade in Bezug auf eine Betreuungseinrichtung, in der Kinder ja eigentlich als Schutzbefohlene gelten, mutet das absurd an. Doch die Realität sieht leider nicht besonders rosig aus: über 80 % aller Einrichtungen verfügen laut einer nationalen Studie nur über eine mittelmäßige Qualität, in rund 18 % der altersgemischten Einrichtungen ist die Qualität sogar nur unzureichend, wobei man hier schon von Kindeswohlgefährdung ausgehen kann. Die Kindheitsexpertin Fabienne Becker-Stoll sagt dazu „Der Maßstab für die Qualität einer Kita ist allein das Wohlergehen des Kindes. Also all das, was ein Kind tagtäglich am eigenen Leib erfährt. Ob die Fachkräfte in der Lage sind, feinfühlig auf all seine Bedürfnisse zu reagieren,“ und führt weiterhin aus: „Entscheidend für eine positive Entwicklung des Kindes ist die konkrete Zuwendung, die es in der Kita erlebt. Wir Wissenschaftler nennen das `Beziehungs- und Interaktionsqualität`. Am Ende kommt es auf das Fachwissen und die emotionale und soziale Kompetenz jeder Erzieherin an.“ (Mehr dazu bei www.zeit.de)

 

 

Emotionale und soziale Kompetenz? Damit war es in dieser Situation wohl nicht weit her. Das war Gewalt, da gibt es nichts schön zu reden.

Gewalt kann viele Gesichter haben und psychische Gewalt ist eins davon. Dass sie Kindern oft unbeabsichtigt zugefügt wird, macht sie nicht weniger schlimm. Zu psychischer Gewalt zählt nicht nur, Kindern Angst zu machen und sie zu bedrohen, einzuschüchtern, auszugrenzen oder zu isolieren, sondern auch, sie mit Druck und Unterdrückung zu erziehen.

 

Gefühle der Hilflosigkeit auszulösen ist Gewalt.

Ein Kind zu bestrafen ist Gewalt.

Wenn das Verhalten eines Kindes wichtiger als seine Person ist, ist das Gewalt.

Siehe auch: www.gewaltinfo.at

 

Das Verhalten eines Kindes ist immer sinnvoll. Es drückt ein Bedürfnis aus, mehr nicht. Wenn wir wollen, dass ein Kind sich besser verhält, müssen wir dafür sorgen, dass es sich besser fühlt (nach Pam Leo). Das erreichen wir ganz sicher nicht, wenn wir es in seiner Integrität verletzen, sondern wir sollten hinter die Fassade schauen, uns einfühlen und nachspüren, was das Kind braucht. Was es uns eigentlich sagen will. Wofür es gerade (noch) keine Worte hat.

„Wenn wir aber wollen, dass Kinder lernen, mit uns und anderen wertschätzend umzugehen, dann dürfen wir eine Grenzüberschreitung ihrerseits nicht selbst mit einer Grenzüberschreitung beantworten“ (Katia Saalfrank). Was sollte es daraus auch lernen? Dass seine persönlichen Grenzen egal sind?  Dass der Stärkere gewinnt? Dass die Großen Gewalt anwenden dürfen, die Kleinen aber nicht?

Das darf nicht sein!

Wir sollten uns an die Seite unserer Kinder stellen, riet die großartige Katia Saalfrank kürzlich in ihrer Familienwerkstatt.

Ihre Signale ernst nehmen. Ihnen zuhören. Missstände aufzeigen, damit sich etwas ändert, und notfalls auch über einen Wechsel nachdenken.

 

Über viele Dinge, die für Dich in dieser Einrichtung nicht stimmig waren, hast Du lange hinweg gesehen. Vielleicht zu lange? Mit manchen hättest Du leben können und Dein Kind auch. Andere hast Du angesprochen und auf Verständnis und Veränderung gehofft. Es ist immer eine Gratwanderung zwischen dem, was man seinem Kind zumuten kann (schließlich gehören auch negative Erfahrungen dazu und es gibt ja zum Glück etwas, das sich Resilienz nennt und das dafür sorgt, dass das Kind nicht gleich vor die Hunde geht) und dem, was zu viel ist. Und es kommt dabei auch ganz stark auf die eigene, subjektive Wahrnehmung und natürlich die des Kindes an. Aber als Du das kleine Häuflein Elend da auf dem Stuhl kauern sahst, war Dir im selben Moment klar, dass es jetzt reicht. Das ist kein Ort für Dein Kind!

Du hast noch keine Ahnung, wie es weitergehen soll, und das macht Dir Angst. Eine Alternative zu finden wird nicht leicht sein. Aber Du bist eine Löwenmama und stellst Dich an die Seite Deines Kindes, und nur das ist jetzt wichtig. Hab Vertrauen darauf, dass sich eine neue, eine bessere Tür öffnet, wenn Du diese nun schließt.

4 Gedanken zu „Stell Dich an die Seite Deines Kindes! Ein Plädoyer gegen psychische Gewalt

  1. Schöner Artikel, ich stimme voll und ganz zu. Leider wird viel zu oft auf (verbale) Gewalt in Kindertagesstätten zurückgegriffen. Liebe Grüße
  2. Schön geschrieben! Traurige Erfahrung für`s Kind :-( Aber es hat Glück, dass es so eine starke Löwenmutter an der Seite hat :-) LG Sim
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