26 Mai

Streitlösen für Kinder – wie denn?

Ich stand vor dem Badezimmerspiegel und putzte mir die Zähne, als der Älteste aus der Kinderetage nach unten kam und lospolterte: sein Drache sei weg und ohne den könne man das dazugehörige Gesellschaftsspiel nicht spielen! Immer würden die beiden kleineren Geschwister Teile aus Spielkartons entnehmen und damit etwas anderes machen, ohne sie zurückzuräumen. Sie müssten das jetzt suchen, los! Das ginge so nicht weiter, verdammt noch mal – und……hier noch drei Schimpfwörter hindenken!

Der Kleinste wollte sich wehren, polterte zurück: niemals würde er das alleine suchen, es wäre ja auch gar nicht klar, dass er den Drachen verschlampt habe, und überhaupt Schrei mich nicht so an! Die Mittlere wurde mit laut: sie war das nicht und immer diese Verdächtigungen, und das Chaos im Zimmer des Jüngsten würde sie nicht betreten; außerdem habe sich der Große ewig nicht für das Spiel interessiert, aber jetzt auf einmal!

Es wurde immer lauter, schimpfiger – und sinnloser. Ich kam dazu und brauchte erstmal ein bisschen, um alle Gemüter wieder etwas abzukühlen und die ganze Story zu verstehen.

 

Wenn Finger zanken

Ich setzte mich mit den Kindern an den Esstisch und kündigte ihnen ein Theaterstück an: meine Finger waren die Darsteller. Der kleine Finger der rechten Hand war das jüngste Kind und saß etwas geknickt an einer Seite. Zeige- und Mittelfinger links waren die großen Geschwister, die dazukamen und laut schimpften. Sie sagten Dinge wie „Du bist schuld!“, „Immer verschwindet alles!“, „Du musst das suchen! Jetzt sofort!!“ und benutzten auch ein paar Schimpfwörter, die ein bisschen lustig und ein bisschen deftig waren.

Meine Kinder amüsierten sich, aber sie hörten mir auch zu. Der kleine Finger wurde immer kleiner und krummer. Am Ende richtete er sich auf, sagte, er habe keinen Bock auf das alles und würde auf gar keinen Fall diesen blöden Drachen suchen – und ging.

Die Kinder wollten schon wieder losreden, aber ich sagte, der zweite Akt fehle ja noch.

 

Meine Finger erzählen von sich

Gleiche Ausgangssituation, aber dieses Mal sagte der linke Zeigefinger: „Ich bin sauer, weil der Drache von meinem Spiel fehlt. So kann man es nicht benutzen. Ich vermute, dass Ihr damit gespielt und ihn nicht richtig aufgeräumt habt. Das ärgert mich. Ich wünsche mir, dass Ihr das in Zukunft anders macht.“

Mindestens eines der Kinder verdrehte die Augen: „Jaaaa, Mama, wir verstehen schon.“ Der linke Mittelfinger machte: „Pssssst! Wir sind noch nicht fertig.“ Dann sprach er wieder mit den anderen Fingern statt zu den Kindern: „Ich glaube, wir haben den Drachen mal mit aufgebaut als wir Flugschule gespielt haben.“ Der linke Daumen kam dazu und zeigte sich als die Mama der Finger: „Wahrscheinlich habe dann sogar ich alle Drachen weggepackt, als ich staubsaugen wollte. Hört doch auf, Schuld zu suchen. Suchen wir lieber zusammen die Figur.“

Der kleine Finger sprang auf: „Okay, wenn alle helfen, helfe ich auch suchen. Und nächstes Mal packen wir ihn gleich wieder zurück in den Spielekarton.“ Die Finger hüpften zusammen davon.

 

Und dann doch ganz anders

Über dieses Fingertheater kamen wir nochmal anders, lustiger, ruhiger ins Gespräch über Streitigkeiten. Darüber dass Schuldsuchen nichts bringt, sondern es viel wichtiger ist, sich selbst zu erklären, empathisch zu sein und gemeinsam eine Lösung zu suchen. – Ein kleiner Tropfen nur, aber immer mal wieder angebracht, hilft dies den Kindern, anders mit ihren Streitigkeiten umzugehen.

Jener Tag verlief bei uns dann noch wie folgt: das Mittelkind düste nach oben und suchte den Drachen alleine, weil die anderen beiden noch Geschirr in die Küche brachten – und weil sie eigentlich gerne sucht, aufräumt, ein gutes Auge für Ordnung hat; es dauerte nur wenige Minuten, dann war das Tier wieder aufgetaucht.

Später am Tag gab es die nächste unerfreuliche Situation mit Streit und Schuldsuche, aber anstatt dort hineinzufallen, kam der Kleinste zu mir und suchte Hilfe, erzählte ganz sachlich, und ich half dabei, dass die Streithähne ein ganz gutes Gespräch zur Lösung des Problems führen konnten. Es ging recht schnell. – Es gab auch wieder mindestens drei andere Streitmomente, die eher explosiv waren, aber es wird! Da bin ich ganz sicher.

 

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IH