23 Jun

Unerzogenes Leben – Selbstaufgabe?

Sind „unerzogen“, „nicht erziehen sondern das Kind begleiten“, und auch „Attachment Parenting“ wirklich einfach mit Chaos gleichzusetzen? Mit Selbstaufgabe der Eltern? Und schaffen sie die „Tyrannen“ von Morgen?

Wenn Dein Kind auf dem Sofa springt, und es ist okay für Dich (Hey, das ist eh oll. Oder hält es gut aus.), wenn Dein Kind mit Fingerfarbe auf die Wände malt, und es ist okay für Dich (Bunt ist schön!), wenn Dein Kind das Auto mit Sand aus seinem Schuh vollkippt, und es ist okay für Dich (Saugen wir nächstes Mal raus. Stört keinen!) – dann

  • kannst Du es ruhig so zulassen,
  • dann kannst Du das Kind es selbst sein lassen,
  • dann hat es genug Wurzeln bekommen, um sich frei für solche Wege entscheiden zu können,
  • dann bekommt es von Dir Begleitung und vor allem Flügel, m seinen Weg zu gehen,
  • dann stehst Du größer, liebevoll, weiser daneben, hast Dir alles gut überlegt und Ihr seid in guter Verbindung.

Angst vor der Reaktion

Wenn Dein Kind auf dem Sofa springt, und Du fühlst Dich damit nicht wohl, sagst es ihm aber nicht (Er ist so glücklich, aber ich hab Angst, dass das teure Stück kaputt geht, doch ich hab keine Lust auf Streit.), wenn Dein Kind mit Fingerfarbe auf die Wände malt, und Du fühlst Dich damit nicht wohl, sagst es ihm aber nicht (Ich kann doch nicht schon wieder was verbieten. Sie wird mich hassen!), wenn Dein Kind das Auto mit Sand aus seinem Schuh vollkippt, und und Du fühlst Dich damit nicht wohl, sagst es ihm aber nicht (Es hätte ruhig bis zu Hause warten können mit dem Sand. Das hab ich schon so oft gesagt. Aber ich lasse es; ich will keinen Wutausbruch riskieren!), – dann

  • solltest Du hinschauen, an welchen Ressourcen es Dir fehlt, um in den Disput zu gehen
  • dann lässt Du das Kind es selbst sein auf Deine Kosten,
  • dann bekommt es von Dir vielleicht Wurzeln und Flügel, aber Du stehst nicht größer, liebevoll, weiser daneben, und gehst auch nicht gut in Verbindung
  • dann weiß Dein Kind nicht, dass es etwas tut, dass Du eigentlich nicht aushalten möchtest – und Du hilfst ihm nicht dabei, Empathie zu entwickeln, die Perspektive zu wechseln, zu lernen Dich zu fragen was Du möchtest
  • dann wirst Du über kurz oder lang ins Schimpfen, Wüten oder aber ins Leiserwerden, Verzweifeln und Zurückziehen geraten
  • dann wird Eure Verbindung Schaden erleiden, denn Du zeigst Dich Deinem Kind nicht,
  • dann übst Du nicht mit Deinem Kind, Kompromisse zu finden,
  • dann begleitest Du Dein Kind nicht – Du erträgst es!
  • Dann ist das NICHT unerzogen.

Wenn Dein Kind bei jemand anderem auf dem Sofa springt, und er fühlt sich damit nicht wohl, aber Du sagst nichts (Wir sind ja hier, weil ich meine Freundin sehen wollte. Soll es ruhig toben. Der andere kann ja was sagen. Sonst bin ich wieder die böse Mama.), wenn Dein Kind mit Fingerfarbe auf fremde Wände malt, der Besitzer fühlt sich aber damit nicht wohl, doch Du sagst nichts (Ich beende das jetzt nicht. Dann hab ich den Stress mit meinem Kind. Es muss sich mal ausleben.), wenn Dein Kind ein anderes Auto mit Sand aus seinem Schuh vollkippt, der Eigner fühlt sich aber damit nicht wohl, doch Du sagst nichts (Oh nee, vielleicht sihet es ja keiner. Ich wil keinen Zoff! Verbieten ist am Ende doch Gewalt?!), – dann

  • solltest Du auch hinschauen, an welchen Ressourcen es Dir fehlt, um in den Disput zu gehen
  • dann lässt Du das Kind es selbst sein auf fremde Kosten,
  • dann bekommt es von Dir vielleicht Wurzeln und Flügel, aber Du stehst nicht größer, liebevoll, weiser daneben, und gehst auch nicht gut in Verbindung
  • dann weiß Dein Kind nicht, dass es etwas tut, dass jemand anderes nicht aushalten möchte – und Du hilfst ihm nicht dabei, Empathie zu entwickeln, die Perspektive zu wechseln, zu lernen andere zu fragen was sie möchten
  • dann wird Dein Umfeld über kurz oder lang ins Schimpfen oder aber ins Zurückziehen geraten – Du wirst vielleicht Freunde verlieren
  • dann wird die Verbindung zu Deinem Kind Schaden erleiden, denn Du zeigst und erklärst Deinem Kind weder Dich noch die Außenwelt,
  • dann übst Du nicht mit Deinem Kind, Kompromisse zu finden,
  • dann begleitest Du Dein Kind nicht – Du erträgst es!
  • Dann ist das NICHT unerzogen.

Unerzogen?!*

Unerzogen“, das Kind begleiten, und auch Attachment Parenting haben nämlich gar nichts damit zu tun, WAS bei Euch zu Hause passiert, ob es chaotisch ist oder nicht, sondern vor allem damit, hinzusehen, was Dein Kind braucht, bei gleichzeitigem Hinsehen, was Du brauchst (Definitiv keine Selbstaufgabe!) und mutig loszumarschieren und miteinander altersgemäß und liebevoll, aber als Leitwolf Lösungen zu finden.

Wenn Dein Kind auf dem Sofa springt, und es ist nicht okay für Dich, dann sag es klar, finde eine Alternative, sucht einen Kompromiss, erkläre Deine Gründe je nach Alter und halte Wut ggf. aus. Wenn Dein Kind mit Fingerfarbe auf die Wände malt, und es ist nicht okay für Dich, dann sag es klar, such eine andere Beschäftigung, einen Mittelweg, erläutere Deine Entscheidung und halte die Reaktionen ggf. aus. Wenn Dein Kind das Auto mit Sand aus seinem Schuh vollkippt, und es ist nicht okay für Dich, dann sag es Deinem Kind klar, sprecht nochmal über alternative Abläufe, findet eine Einigung, macht zusammen sauber – und ertrage je nachdem auch den damit verbundenen Streit.

„Böse Mama!“, „Doofer Papa!“ und so vieles mehr ist gerechtfertigte Wut beim Stoßen auf die Grenzen der anderen, und nicht wörtlich zu nehmen. Die Kinder benötigen Hilfe dabei, diese Grenzen zu erkennen und damit umzugehen. Sie müssen von uns lernen, wie Kompromisssuche geht – und auch Argumentieren und vielleicht doch sein Recht bekommen.

Keine Angst vor einem Begriff!

Bei der bindungs- und beziehungsorientierten Elternschaft , beim Begleiten statt Erziehen, beim Hinschauen und Gemeinsamlösen statt Verbiegenwollen und Manipulieren – sowohl beim unerzogenen Leben mit Kindern, als auch beim Attachment Parenting – geht es nur um Haltung und Handeln, nicht um Abhaklisten-Inhalte wie die immer so gerne hingeworfenen Brocken Chaos, Dauermedienkonsum, Vernachlässigen der Schule, Ignorieren der Bedürfnisse anderer usw. oft glauben lassen, die Kritiker so betonen.  Die Betitelung „Unerzogen“ zusammen mit solchen Assoziationen schreckt viele von der Auseinandersetzung mit dem Thema ab. Und auch die „harte“ Art wie manche versuchen, es zu erklären, vergrault etliche. Dabei ist das Hinterfragen alter Glaubenssätze zur Erziehung so gut!

Unerzogen schließt keine Regeln aus! Es darf sehr wohl Regeln geben, aber man findet sie gemeinsam (Dann ist es auch keine Gewalt, wie manche Vertreter des Unerzogen-Weges zu schnell brüllen.)! Im Gespräch, in Beziehung miteinander; die Regeln sind nicht starr, sie sind in Kommunikation miteinander veränderbar. Man passt sie an sich verändernde Bedürfnisse aller an (Wie gut das in vielem mit Attachment Parenting zusammengeht!). Man nimmt dabei Rücksicht aufeinander und ist respektvoll und liebevoll, nicht manipulativ, von oben herab. Man ist bedürfnisorientiert (!), aber mit Blick auf alle Bedürfnisse – Kinder und Eltern und wer auch immer noch da ist.

Neue Wege wagen, Altes aufgeben – ja, das kann auch wehtun. Es ist nicht so einfach, den richtigen Weg zu finden, den richtigen Ton, die passenden Worte. Das klingt überhaupt mal wieder alles sehr anstrengend, und das ist es auch, denn es ist nicht „einmal gemacht und läuft dann“; man muss immer wieder nachjustieren, gucken, fühlen, sprechen, neue Lösungen finden, Kompromisse suchen, Ideen haben, sich einlassen aufeinander, es sich nicht einfach machen reden, reden, aushalten, sauer sein, vertragen, Grenzen ausloten und irgendwie aneinander anpassen, nicht nur innerfamiliär.

Aber es lohnt sich!

*Ich nähere mich dem Begriff hier nur im Blick auf Innerfamiliäres; insgesamt ist er als menschliche Grundhaltung viel weiter gefasst. Ich freue mich über alle, die sich trauen, sich tiefer damit auseinanderzusetzen.