27 Apr

Wutanfälle als Chance zu lernen und sich zu verbinden

Dankbar für einen Wutanfall? Echt jetzt? Genau das meint Daniel Siegel, Professor der Psychiatrie und Leiter des Mindful Awareness Research Center der University of Carlifornia. Der Autor von Werken wie „Achtsam Kommunikation mit Kindern“ oder „Gewahr sein“ sieht in emotionalen Ausbrüchen unserer Kinder Gelegenheiten. Gelegenheit zu lernen und sich mit ihnen zu verbinden.

Im Wutanfall ist unser Kind im Ausnahmezustand. Auch im kindlich Gehirn geht es jetzt drunter und drüber – und zwar im wahrsten Sinne des Wortes: Die „unteren“ und entwicklungsgeschichtlich älteren Gehirnregionen übernehmen die Kontrolle und die oberen Gehirnregionen fahren teilweise runter.

Wenn diese oberen Hirnregionen ausgeschaltet sind, haben wir als Eltern ein Problem, denn das hat Folgen für unser Kind:

  • Lernen wird jetzt schwierig
  • sich zu verbinden wird jetzt schwieriger
  • sich in andere hineinzuversetzen wird jetzt schwierig
  • zuhören wird jetzt schwierig
  • Lösungen finden wird jetzt schwierig
  • sich selbst beruhigen wird jetzt schwierig

Gerade die Teile des Gehirns, die wir in einem Wutanfall oder einem Konflikt am meisten bräuchten, sind abgeschaltet! Ärgerlich, oder?

 

Wie war das noch mit dem Wutanfall als Chance zu lernen?

Ja, das Kind kann gleich drei wertvolle Lektionen lernen – doch dafür braucht das Kind einen Menschen im Außen. Jemand, der dem Kind die Ruhe vermittelt, die ihm selbst gerade nicht zur Verfügung steht.

Sind Eltern jetzt für ihr Kind da, bleiben ruhig und vermitteln ihrem Kind, dass sie es auch mit seinen Gefühlen annehmen, dann beruhigen sie die unteren Gehirnregionen ihres aufgebrachten Kindes!

Das Kind lernt dabei:

  • wie beruhigen geht (das Kind lernt die Selbstregulation also durch die Koregulation)
  • dass Gefühle Teil des Lebens sind
  • dass es angenommen und geliebt ist – auch wenn es gerade nicht „perfekt“ ist
  • wie das geht mich dem Verbinden
  • und ganz konkret: diesen einen Konflikt zu verstehen und evtl. zu klären

 

Wieder beruhigt, können wir mit unserem Kind besprechen, was passiert ist – und wie eine Lösung aussehen kann.

Jetzt (erst) ist das Kind empfänglich, sind seine oberen Gehirnregionen wieder „an Bord“. Jetzt kann es darüber nachdenken. Kann sich in andere hineinversetzen.

Dieser letzte Schritt ist wichtig, denn wir wollen ja, dass unser Kind auch sieht und versteht, was passiert ist. Zum Beispiel wenn der kleine Bruder in der Wut seine große Schwester geschlagen hat: Dann wäre es hilfreich, wenn der kleine Bruder spürt, dass nun seine Schwester wütend ist. Und vielleicht findet sich ja sogar gemeinsam ein Weg, wie die Geschwister sich vertragen können.

Konflikte gehören zum Leben dazu, ebenso Missverständnisse. Wie schön wenn Kinder schon früh lernen, sich selbst zu beruhigen, sich in anderen hineinzuversetzen und sich dann wieder zu verbinden.

So geht lernen im Wutanfall. Und deswegen können emotionale Ausbrüche oder Konflikte so ein Geschenk sein. Allein den Wutanfall deines Kindes unter diesen Gesichtspunkten zu sehen, kann viel verändern.

Ich wünsche dir daher, dass du die Konflikte mit deinem Kind in einem neuen Licht sehen kannst. Als Chance, deinem Kind nahe zu kommen, ihm Halt, Sicherheit und Wärme zu geben, wenn es das am meisten braucht.

 

Weitere Unterstützung:

Zum Weiterlesen: Daniel Siegel & Tina Payne Bryson: Disziplin ohne Drama, Arbor Verlag, 336 Seiten 19,90 € 

Zum Weiterlernen: Christopher zeigt Eltern, wie sie ihre Kinder achtsam durch große Gefühle und Konflikte begleiten – in Online-Kursen wie „Wutanfälle deines Kindes gelassen meistern“ (Start 2. Mai 2020) und Tagesseminare wie „Kinderzentrierte Kommunikation“ an.