29 Mai

Attachment Parenting Teenie?

Aber was ist mit der Pubertät?

Manchmal könnte man meinen, das sei die Gretchenfrage der Eltern, die in ihren Familien bindungs-, beziehungs- und bedürfnisorientiert leben möchten. In ihnen arbeitet die Panik vor dem Größerwerden ihrer Kinder. Schreibabys, Wutzwerge, Zahnlückenpubertät, Grundschulprobleme, erste Freundschaftsstreitigkeiten – alles winzig gegen die Teeniezeit?!

Vielleicht liegt das daran, dass Attachment Parenting als Kuschelpädagogik verschrien ist, die sie gar nicht ist und die wir Bindungsträumer weder für kleine Kindern noch für Jugendliche für gut erachten; nur die Kinder im Blick zu haben und ihnen nach dem Mund zu reden bzw. zu handeln, wäre ungut für alle Beteiligten – Eltern würden kaputt gehen, Kinder wären orientierungslos. Es gilt alle im Blick zu haben und in Beziehung zu bleiben.

Vielleicht liegt die Angst vor der Pubertät auch daran, dass immer nur diejenigen Teenies auffallen, die über die Stränge schlagen – und dass ihr Übermaß als gefährlich statt als okay für diese Lebensphase aufgefasst wird. – Sie sollen sich doch ausprobieren. Grenzen erkennt man, indem man sie auch mal überschreitet. Und: die wenigsten kommen komplett vom Weg ab!

Pubertät neu denken

Pubertät sollte umgedeutet werden. Es ist nicht das Übel schlechthin. Die größte Herausforderung vielleicht schon, aber das ist nicht negativ. Nur kraftraubend unter Umständen, aber so wichtig – und birgt so viele Chancen.

Unsere heranwachsenden Kinder brauchen von uns das gleiche wie die kleinen: Wurzeln, Flügel, uns als anteilnehmenden, begleitenden Leitwolf. So simpel.

So schwierig, denn natürlich läuft das mit einem 13- oder 15-jährigen anders als mit einem jüngeren Kind.

Man kann nicht mehr einfach eine Runde vorlesen, um Nähe zu schaffen. Man kann das Kind nicht fürsorglich auch mal gegen seinen Willen wegtragen, wenn es irgendwo gefährlich wird. Man kann meist nicht mehr einfach lustige Tobespiele auf dem Kinderzimmerfußboden entfachen, um Wut in Spaß umzumünzen. – Wie schafft man weiterhin Wurzeln, gibt Nähe?

Man kann nicht mehr in Sichtweite loslassen und dem Kind mit mulmigem Bauchgefühl das Klettern auf dem höchsten Baum zugestehen oder es ermutigen, im Seewasser unterzutauchen und ein paar Züge zu schwimmen. Man bringt es nicht mehr in einen gut behüteten Kindergarten, indem man vom Erzieher fast alles zurückgemeldet bekommt, was über Tag nicht so gut läuft. Die Orte ändern sich, die Bezugspersonen werden andere, der Radius erweitert sich, die Risiken sind neue. – Wie aber schafft man das gute Loslassen?

Man kann auch nicht mehr einfach die Richtung vorgeben, Regelplakate besprechen, Zeiten bestimmen, ohne viel Gegenrede Kompromisse schließen, zum Hausaufgabenerledigen den Anstoß geben, notfalls mit einem Schokopudding und etwas Rückenkraulen, denn es wird immer mehr Widerworte und Infragestellen geben. – Wie aber schafft man es, doch ein Leiwolf zu bleiben?

Wie ist man „attached“ im Jugendalter?

Zunächst mal sollte natürlich aus der Baby-, Kleinkind- und Kinderzeit eine gute Basis da sein: eine sichere Bindung, eine gute Beziehung, Wertschätzung, Respekt, gegenseitig. Und dies gilt es zu erhalten.

(Das Erziehen übernehmen eh die Freunde: anpassen, abgrenzen, ausprobieren, sozialen Druck spüren – hier kommt es auf den Rücken Eures Kindes und das Gefühl des Geliebtwerdens an, das Eure Kinder aus ihren ersten Lebensjahren mitbringen.)

Zum Nähegeben und Wurzeln sichern braucht es Dialog und echtes Mitsein: interessiert Euch für Eure Kinder, ihre Freunde, ihre Hobbys, ihre Themen. Verlacht sie nicht. Jeder Bereich, der ihnen ernst ist, ist es wert, von uns Eltern erkundet zu werden. Das geht am besten in echtem Dialog: erzählt von Euch, nutzt gute Momente, und dann fragt und hört zu! Tauscht Euch wirklich aus. Schafft Momente, in denen das noch möglich ist; die gemeinsame Zeit wird ja immer knapper.

Zum Loslassen und Flügel geben braucht es Vertrauen: in die Kinder, in uns, dass wir ihnen eine gute Basis und einen starken Rücken mitgegeben haben, und auch in die Umwelt, indem man nicht überall nur das Schlechte sieht und das Schlimmste befürchtet. Wir durften die Welt damals auch erkunden und unsere eigenen Wege gehen. Dies gilt es jetzt, unseren Kinder zu ermöglichen. Versuche, alles zu kontrollieren, sind hinderlich und bei guter Bindungsbasis gar nicht notwendig. Versucht es mit Vertrauen, Bestärkung, dem Reden über verschiedenen Alternativen auf dem Weg – und natürlich auch mit Hilfe, wenn doch mal gestrauchelt wurde.

Zum Leitwolfbleiben braucht es gegenseitigen Respekt, der in Verbindung mit den vorgenannten Punkten entsteht. Ein Teenie, der spürt, dass Ihr sein Computerspiel oder seine Cliquenprobleme verstehen wollt und ernst nehmt, wird wahrscheinlich auch zu Euch kommen, um über Sorgen zu sprechen und Lösungen zu finden. Ein Jugendlicher, der sieht, dass Ihr in der Regel verantwortungsbewusst mit der Politik, dem Alkohol, Euren Freundschaften, der Umwelt, der Arbeit, den Verwandten, Euch selbst usw. umgeht, wird es Euch in enger Verbindung eher nachtun als einen komplett anderen Kurs einzuschlagen. Manchmal mag der Weg oberflächlich anders aussehen, aber wenn Ihr zum Beispiel im Umweltschutz aktiv seid, kann Euer Teenager es auch bei der Organisation von kleinen Punkkonzerten sein. Wenn Ihr Freundschaften gut pflegt, kann es sein, dass Euer Kind sich das mitnimmt, aber anders agiert, sich zum Beispiel eher mal zurückzieht, weil es spürt, dass ihm vieles zu oberflächlich ist, und es lieber in Ruhe die richtigen Menschen finden mag.

Interessen und Persönlichkeitsmerkmale sind ganz individuell, und doch kann Euer Stern der leitende sein, wenn Ihr gut verbunden seid. Wenn Ihr Ordnung im Wohnzimmer habt, hat der Jugendliche vielleicht nur Ordnung im Kopf hinsichtlich seiner Schulsachen oder nur hinsichtlich seiner sportlichen Hobbys, aber meist nicht erkennbar in seinem Zimmer, vor allem dort auf dem Fußboden. (So lange ein Mindestmaß an Hygiene möglich ist, ist das kein Punkt für einen Kampf, und man muss auch keine Angst haben, dass Ordnung nie gelernt wird; der Schnuller war auch mit 3 noch wichtig und mit 7 nicht mehr – macht Euch nicht so viele Sorgen.)

Und nicht zuletzt braucht es für all das Kraftmomente für Euch selbst: gönnt Euch Auszeiten, Hobbys, Pausen, ein Glas Wein, ein lautes Konzert, selbst mal wieder ein Überdiesträngeschlagen – alles was gut tut, um Eurem Teenie der Elternteil sein zu können, der Ihr gerne sein mögt, so dass Ihr einander auch in der Pubertät nicht verliert.

Und der Streit?

Konflikte bleiben. Immer. In jeder Familie. Jeder WG. Jedem Betrieb. Wo Menschen sind, gibt es Meinungsverschiedenheiten. Seid Vorbilder für eine gute Streitkultur, die lösungsorientiert und straffrei ist, die jeden wertschätzend anhört und auch mal Tage braucht und diese Tage aushalten kann, bis man eine Lösung findet. Geht immer wieder aufeinander zu, gebt nicht auf. Seid verantwortungsbewusst, aber nicht bevormundend, denn die Eigenverantwortung der Kinder ist ein großer Faktor in ihrem Reifeprozess; sie sollten spüren, dass Ihr ihnen da etwas zutraut!

Echter Dialog sollte immer miteinander stattfinden. Das heißt, es braucht keine „polizeilichen Verhöre“ voller Unterstellungen und Angriffe, voller „gegeneinander“. Das wäre kontraproduktiv. Gerät man doch mal auf diese Schiene, sollte man tunlichst in einem ruhigen Moment miteinander ins Gespräch kommen, um dies zu verändern. Und sich eine Weile aus dem Weg zu gehen, ist genauso okay.

Dass es eine Zeit lang vielleicht mal eher still zwischen Euch wird, vielleicht sogar ein bisschen „fremd“, solltet Ihr auch akzeptieren. Das geht nicht gegen Euch, wie das „Du blöde Mama!“ mit 3 Jahren auch nicht. Jeder geht seinen eigenen Weg, um sich selbst neu zu sortieren und gut aufzustellen. Ihr könnt nur immer wieder Nähe anbieten, nicht erzwingen.

Und: sorgt Euch nicht so viel vor den „schlimmen“ Momenten. Ja, die werden kommen, wie in der Autonomiephase auch. Aber hat es Euch da geholfen, Angst vor dem nächsten Zähneputzen, dem nächten Übergang von zu Hause nach draußen, dem Zubettbringen zu haben? Ich denke nicht. Gelassenheit und Annehmen der Situation sowie ein Bei-Sich-Bleiben waren auch da der Schlüssel – ebenso wie der Fokus auf das Schöne. Eine gemeinsame Mahlzeit ist immer drin, Unternehmungen zusammen müssen nicht ständig sein, aber wenn dann „echt“, mit Lust, auch mal andere, neue Dinge, für Euch oder für alle. Verbindende Momente.

So wird die Pubertät zur Chance auf ein Erhalten der guten Eltern-Kind-Bindung der ersten Jahre und Weiterführen der Beziehung mit einem Teenager, der sich in Ruhe ablösen sowie selbst entwickeln und finden konnte.

 

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