18 Okt

Das Einzige, was zählt.

So ein Flüchtlingslager ist so ziemlich das Trostloseste, das mir jemals begegnet ist. Ich habe hier gerade einen kleinen syrischen Patienten zu versorgen, sechzehn Monate ist er alt und sichtlich traumatisiert von dem ganzen medizinischen und nichtmedizinischen Mist, der ihm in seinem kurzen Leben bereits widerfahren ist.

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Seine Mutter ist erst neunzehn, trägt das dritte Kind im Bauch und versteht kein Wort von dem, was ich ihr mit Händen und Füßen und miesem Schulenglisch zu erklären versuche. Sie kann weder lesen noch schreiben und ich frage mich, ob das hier ihrer Vorstellung von ihrem Leben hier entspricht, die sie hatte, als sie aus ihrer Heimat floh. Wohl kaum.

Begegnungen wie diese machen mich demütig und dankbar.

Weil ich hier sitzen und einen Kaffee trinken kann, während ich meine Gedanken aufschreibe. Weil ich mich darüber ärgern kann, dass ich meinen Milchkaffee hier nirgends mit Pflanzenmilch bekomme, und die Bedienung unfreundlich ist und morgens um neun schon genervt wirkt. Weil ich diesen Job habe, der mich erfüllt, und meine Kurse, die mich noch viel mehr erfüllen.

Weil ich mich gleich in meinen Firmenwagen setzen und eine liebe Freundin besuchen werde, die ich über das Internet kennengelernt habe und die meinen Traum von einer Welt voller sicher gebundener Kinder teilt. Weil ich mich in sozialen Netzwerken austauschen und Gleichgesinnte finden kann.

Weil meine Kinder zu Hause beim Papa in Sicherheit sind und nicht mit Gittern an den Fenstern und Mauern mit Stacheldraht aufwachsen müssen. Das erdet mich.

Was das alles mit Attachment Parenting zu tun hat? Keine Ahnung.
Aber irgendwie hat es das.

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Weil AP so viel mehr ist als die üblichen Verdächtigen Stillen, Tragen, Familienbett.

Es ist eine Haltung, in die wir hineinwachsen können, wenn wir uns darauf einlassen, nach und nach. Eine Haltung, die auch dann möglich und spürbar ist, wenn wir uns nicht mit Worten verständigen können und unter widrigsten Bedingungen zueinander finden,
achtsam, voller Verständnis
und in Gleichwürdigkeit.

Denn, um es mit den Worten von Nora Imlau und Herbert Renz-Polster zu sagen:

Das Einzige, was zählt, ist,

wie wir miteinander umgehen.

Zitat aus: Schlaf gut, Baby!

Alle Fotos in diesem Beitrag: Mildi

3 Gedanken zu „Das Einzige, was zählt.

  1. Hach. Ja, das stimmt. Wir haben es ziemlich gut getroffen hier. Bei solchen Bildern wird das sehr bewusst.
  2. Ein Zitat, das mich sehr geprägt hat und das ich auch gutem Grund auch in meinem Buch "Das Geheimnis zufriedener Babys" zitiere ist dieser Satz der amerikanischen AP-Ikone Peggy O'Mara: "Wie wir heute mit unseren kleinen Kindern sprechen, wird später ihre innere Stimme sein."

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