Inke Hummel: „Miteinander durch die Pubertät“
Die folgende Buchbesprechung stammt von Bindungs(t)räume-Mitglied Christopher End. Er arbeitet in Köln als Elterncoach und bereichert die Podcast-Landschaft sehr mit seinen „Eltern-Gedöns“-Gesprächen.
Zu Bindung, Beziehung und Bedürfnissen gibt es mittlerweile ein wahres Ratgebermeer, doch die meisten beschäftigen sich mit Babys, Kleinkindern oder vielleicht gerade noch mit Schulkindern. Aber wie soll ich diesen Weg mit Jugendlichen bestreiten? Und: Geht das überhaupt? Viele Antworten auf diese Fragen hat Bindungs(t)räume-Mitglied Inke Hummel in ihrem Buch „Miteinander durch die Pubertät“ (Humboldt, 2020) zusammengetragen. So viel sei vorweg verraten: Ja, es geht – und zwar ziemlich gut.
Inke schreibt aus einer Haltung der Wertschätzung und des Verständnisses heraus – den Jugendlichen UND ihren Eltern gegenüber. Das macht es so einfach und leicht ihr zu folgen. Sie schreibt, was sie lebt: Immer die Beziehung im Blick. In diesem Fall mit Blick auf die Beziehung zu dir als Leser:in.
Das Buch richtet sich an Eltern, die bereits bindungsorientiert leben und das nun im Jugendalter ihres Kindes selbstverständlich fortführen wollen. (Und gleichzeitig ist mein Eindruck: Es funktioniert auch wunderbar für Menschen, die noch nie etwas von Bindung und Bedürfnissen gehört haben … denn das ist ein echtes Praxisbuch!).
Da unser Verhalten in unserer Haltung wurzelt, beginnt Inke folgerichtig mit unserer Rolle als Eltern und wie die sich wandelt, wenn aus unserem Kind ein:e Jugendliche:r wird.
Weiter geht es mit dem Alltag mit Jugendlichen, wobei Inke den Bogen von Respekt über Kommunikation bis zur Selbstfürsorge schlägt. Und dann geht es ans Eingemachte: Schule, Computer, erste Liebe, Alkohol, Sucht und vieles mehr! Dabei schreibt Inke nie vor, wie etwas zu sein hat oder was nicht zu darf, sondern eröffnet vielmehr den Raum für Möglichkeiten und individuelle Gestaltung. Ein Spektrum, in dem jede Familie selbst ihren Platz finden darf.
Inke liefert mit ihrem Ratgeber ein prallgefülltes Praxisbuch ab. Auf den ersten Blick scheint das Taschenbuch mit seinen 166 Seiten überschaubar vom Umfang und dennoch ist es überraschend umfassend und ja, überfließend. Das liegt schlicht und einfach daran, dass Inke hier alle überflüssigen Erklärungen, theoretischen Einleitungen oder philosophischen Ausschweifungen weglässt: Sie kommt direkt zum Punkt (oder besser gesagt zu sehr vielen Punkten 😉 ).
Das Buch ist nämlich eine wahre Punktesammlung – so finden sich überall Bullet-Point-Listen: Vor allem wenn es um mögliche Lösungen, neue Ansätze oder auch konkrete Antworten an den Teenie geht, dann klappt Inke eine Aufzählung aus. Das ist extrem praktisch, da ich so auf einen Schlag sehr viel Informationen und Auswahlmöglichkeiten präsentiert bekomme. (Mir als Scanner-Persönlichkeit kommt das seeehr entgegen – und ich denke auch Eltern, die zwischen Familie, Job und Selbstverwirklichung manchmal nicht soooo viel Zeit für das nächste Buch haben.)
Auch sonst eignet sich das Buch zum Reinlesen, Querlesen und Durchblättern: Neben den vielen Aufzählungen lockern Info-Boxen, kurze Erfahrungsberichte anderer Eltern, Zwischenüberschriften, Zitate und Tweets den Text auf. Und dabei ist der Text schon in sehr kleine Absätze und Kapitel unterteilt. Was soll ich sagen: Es war der erste Ratgeber seit langem, den ich komplett (!) von vorne bis hinten gelesen habe. Ja, jedes Wort!
Besonders geschätzt habe ich die als „Was sagen andere Eltern?“ betitelten Erfahrungsberichte. Hier schreiben echte Eltern, ziemlich authentisch und offen über ihre Leben mit ihren Jugendlichen. Ein, zwei Berichte haben mich richtig berührt, wie die Geschichte von der Mutter, die das Gefühl hatte, die Distanz zu ihrer Tochter würde zu groß, ihr würde das Kind entgleiten. Und wie die Mutter dann anfing Zettel unter der Tür durch zu schieben, um noch irgendwie Kontakt zu halten – der Anfang einer ganz besonderen Kommunikation und Wiederannäherung.
Miteinander durch die Pubertät ist ein wahres Praxisbuch. Schnell für zwischendurch zu lesen und im Geist der Bindungsorientierung geschrieben. Inke schließt damit eine echte Lücke, die sich für beziehungsorientierte Eltern auftut, deren Kinder plötzlich keine Kinder mehr sind.