03 Sep

Kein Kind ist wie dein Kind

Bindungsträumerin Stephanie Siebert ist systemische Beraterin für Eltern und lebt mit ihren zwei Töchtern in Nürnberg. Sie hat für uns über die Bedeutung unterschiedlicher Persönlichkeiten von Kindern und den besten Umgang damit geschrieben.

Vielleicht habt ihr diese Werbung eines Versicherungsanbieters auch schon gesehen. Der Slogan: “Kein Kind ist wie dein Kind.” Stimmt – nicht mal mein Kind ist wie mein Kind. – Hä? Na, weil ich zwei Kinder habe. Und die sind sich zwar in manchem ähnlich, in vielem aber auch grundverschieden.

Zwei Kinder, zwei grundverschiedene Persönlichkeiten

Eines mussten wir lange ermutigen, sich wenigstens die Schuhe selbst anzuziehen, das andere bekommt mit zwei Jahren einen Wutanfall, wenn es sich nicht selbst komplett alleine anziehen darf. Eines konnte mit 2 Jahren schon grammatikalisch fast fehlerfrei und klar sprechen, das andere ist davon noch weit entfernt, aber kann dafür Emotionen klar erkennen und benennen. Ein Kind bleibt bemerkenswert cool, wenn die Bezugserzieherin den Kindergarten verlässt, das andere trauert noch Monate später einer Person nach, die es nur für einige Wochen betreute.

 

Natürlich wachsen unsere Kinder nicht genau gleich auf

Nun gibt es ja Eltern, die sagen: Wir erziehen unsere Kinder genau gleich, also daran kann es nicht liegen, dass sie so verschieden sind. – Jein, würde ich da sagen. Denn natürlich wächst das Zweitgeborene in einem anderen Umfeld auf als das Erstgeborene es tat. Das System Familie verändert sich schließlich grundlegend, wenn eine weitere Person dazukommt. Mit einem großen Geschwister aufzuwachsen macht einen Unterschied.

Manches machen wir auch beim zweiten Kind – bewusst oder unbewusst – anders als beim ersten. Vielleicht sind wir in mancher Hinsicht entspannter, woanders wahren wir womöglich klarer unsere Grenzen, weil die Kapazitäten jetzt noch mal deutlich knapper sind als mit nur einem Kind.

 

Ein Baby kommt nicht als weißes Papier zur Welt

Gleichzeitig bringt das Baby aber auch seine eigene Persönlichkeit mit. Früher dachte man ja, so ein Kind sei wie ein Klumpen Lehm, den man durch Erziehung in jede beliebige Form bringen kann. Und so ein bisschen was von dieser Denkweise findet sich in manchen Köpfen immer noch. “Entspannte Eltern, entspannte Kinder” oder “Bei mir führt der sich nicht so auf!” – das sind Sätze, die wir wohl alle schon gehört haben über Kinder aus unserem Umfeld. Und klar hat unser elterliches Verhalten einen Einfluss darauf, wie unsere Kinder sich entwickeln.

 

Was denn nun!?

Die Wahrheit ist: Es ist komplex.

Weder sind Kinder formbare Lehmklumpen, noch kommen sich mit unveränderbaren Verhaltensweisen auf die Welt. Es gibt wilde und schüchterne Kinder, gefühlsstarke und regulationsstarke Kinder (und zu diesen Persönlichkeitsstrukturen ganz wunderbare Bücher von Inke Hummel und Nora Imlau). Die Kunst ist aus meiner Sicht, die grundlegende Persönlichkeit unserer Kinder anzunehmen, sie liebevoll willkommen zu heißen, so wie sie sind – aber auch zu schauen, wie das Zusammenleben für alle Familienmitglieder angenehm sein kann. Auch wenn sie sehr verschieden – oder sehr ähnlich, das ist ja oft noch schwieriger – sind.

Wie man das hinkriegt? Mal ehrlich: Da ist viel trial and error dabei. Und ich glaube, dass es dabei ganz viel um Grenzen geht.

 

Hä, Grenzen? Ich dachte, das hier ist bindungsorientiert?!

Ja, ich meine auch nicht das, was Verfechter*innen autoritärer Erziehung unter Grenzen verstehen. Nicht die Grenzen, die man willkürlich zieht. Sondern die ganz persönlichen Grenzen, die jeder Mensch hat. Hier auf meinem Blog habe ich darüber ausführlicher geschrieben.

Wir alle haben Grenzen. Die Kunst ist, die eigenen Grenzen zu spüren, zu kommunizieren und sie zu wahren. Und das auch unseren Kindern beizubringen. Nee, eigentlich können die das meist sehr gut. Es reicht, ihnen diese Fähigkeit nicht abzutrainieren. Meist haben wir Erwachsenen damit die größeren Schwierigkeiten.

Wenn das gelingt – dass alle ihre Grenzen kennen und wahren -, dann dürfen auch alle in der Familie so sein, wie sie eben sind. Und das ist es, was zumindest ich mir für mein Familienleben wünsche.