Mein Kind WILL nicht!
Immer wieder begegnet mir die Frage, was man denn tun kann, wenn das eigene Kind etwas partout nicht will. Dies fragen Eltern von Kindern in ganz unterschiedlichem Alter: 1, 5, 8, 13 Jahre… Und dann fällt mir jedes Mal ein, dass das eine der ersten Fragen war, die wir unserer Lehrerin im Fach Erziehungswissenschaften gestellt haben. Was macht man da? Wenn ein Kind nicht die Hand geben möchte? Wenn ein Kind nicht aufräumen will? Wenn ein Kind den Pullover nicht tragen mag? Wenn ein Kind nicht alleine schlafen will?
Die Antwort war ganz einfach – ich verrate sie gleich.
Vom Wollen und Können
Wenn ein Kind etwas nicht zu wollen scheint, müssen wir Eltern zunächst mal hinschauen, ob es wirklich nicht will – oder ob es in Wahrheit einfach nicht kann!
Größere Kinder kann man danach fragen, muss aber selbst bei ihnen wie bei den kleineren manchmal auch einfach selbst einschätzen, was die Ursache für eine „Verweigerung“ ist.
Babys
„Will“ ein Baby nicht alleine schlafen, nicht auf Tante Lenis Schoß, nicht mit dem neuen Knisterbuch spielen, nicht aufhören zu schreien, so steckt dahinter ein Nicht-Können. Je jünger, desto weniger bewusster Gegenwille ist ja da. Bindungsbedürfnis, Einschätzen der Beziehungsqualität, Kennenlernen der Welt, Müdigkeit, Hunger, geringe Konzentrationsfähigkeit, fehlende Impulskontrolle sind hier riesige Themen. Wer Euch erzählen will, das Kind wolle nicht, wolle stören, wolle manipulieren, der hat keine Ahnung und vermutlich einen Blick auf Kinder, der von althergebrachten Glaubenssätzen geprägt ist.
Kleinkinder
„Will“ ein Kleinkind etwas nicht, so kann auch hier etwas von den o.g. Punkten dahinterstecken. Es will den Spielplatz nicht verlassen, es will das Obst nicht essen, das gestern noch geschmeckt hat, es will den Opa nicht umarmen, es will die Impfung nicht bekommen – alles kann seinen Grund im Nicht-Können haben: zu müde, zu viel zurückgesteckt den ganzen Tag, zu unsicher nach der Geburt des Geschwisterkindes, zu sehr im Plan gestört, der fest im Kopf drin war, oder oder oder. – Dann können wir uns auf den Kopf stellen, es aber nicht ändern.
Manchmal ist es aber auch ein erstes Nicht-Wollen. Das Kleinkind weiß, dass es ein selbständiger Mensch ist und gegen etwas sein kann; es kann hier und da schon abschätzen, was eine Entscheidung bedeutet, und seinen Unwillen äußern, und es kann seinem Bauchgefühl nachgehen und sagen oder zeigen, wenn etwas dagegen spricht. – Hier können wir versuchen, mit Beziehung, Kommunikation, Empathie, Kooperation, Spiel usw. eine Änderung zu erreichen. Aber dass das auch „funktioniert“, bleibt ungewiss.
Grundschulkinder
„Will“ ein Grundschulkind etwas nicht, gilt das gleiche: vielleicht erkennen wir, dass es nicht kann, weil es zu sehr unter Druck steht, einen kognitiven Entwicklungsschritt noch nicht gemacht hat oder oder oder. Oder wir erkennen, dass es tatsächlich nicht will, weil es schlichtweg eine andere Meinung hat als wir.
Teenager
„Will“ ein Jugendlicher etwas nicht, so ist häufig der Hintergrund deutlich anderer Natur als bei den zuvor genannten jüngeren Kindern, zumindest wenn er in einer beziehungsstarken Familie aufgewachsen ist. Denn dann braucht er sein Nein nicht als Mittel zur Abgrenzung und Auflehnung, sondern kann es verwenden, wenn er wirklich reflektiert hat und verschiedene Folgen abgewogen hat. Dann ist das kein Nicht-Können, sondern wirklich ein Nicht-Wollen.
Klar gibt es auch bei Teenies manchmal noch nicht können; Hormone, Gefühle, Temperament, Erfahrungen, selbst hier noch Hunger oder Müdigkeit und vieles mehr können beeinflussen. Aber echtes Nicht-Wollen und auf der eigenen, gefundenen Meinung Bestehen wird häufiger werden.
Wir können diskutieren, erklären und warnen sowie natürlich immer wieder ein Vorbild sein. Und hoffen.
Aber wenn es Nicht-Wollen ist – egal in welchem Alter – dann bleibt es eventuell beim Nicht-Wollen, egal was wir sagen und tun. Oh!
Und was bleibt uns dann?
Unsere Lehrerin sagte uns damals nach einigem gemeinsamen Überlegen und Rätseln die schlichte Antwort: wenn das Kind tatsächlich nicht will, gibt es keinen pädagogischen Trick – nur Zwang!
Oh oh. Das hatten wir uns mit 17 Jahren so nicht vorgestellt.
Aber natürlich hatte sie Recht.
Haben wir hingesehen und festgestellt, dass wir etwas von unserem Kind verlangen, das es wirklich auch leisten könnte, aber es sagt „Nein!“, dann will es nicht. Wir können dann ein gutes Vorbild gewesen sein, reden, anbieten, locken, loben, Versprechungen machen, immer in guter Verbindung gewesen sein, selbst ständig kooperiert haben – es kann weiterhin „Nein!“ sagen. Das passiert! Weil unser Kind ein eigenständiger Mensch ist und mit wachsendem Alter immer selbständiger wird – und auch immer reflektierter. Es wird sich immer bewusster entscheiden, auch mal gegen uns und unsere Vorstellungen, Vorgaben oder auch Werte.
Dagegen können wir nur anderes vorleben, darüber reden, zeigen was uns daran „weh tut“ – aber wir können nichts – NICHTS! – ohne Zwang tun, um unser Ziel zu erreichen.
Gute Pädagogik ist nur ein Anleiten, Helfen, Begleiten, Schubsen, Unterstützen, Erkennen – keine Mechanik, keine Automatisierung, kein Verbiegen.
Uns bleibt dann nur, Lage und Kind einzuschätzen und im äußersten Notfall Hilfe zu suchen oder je nachdem schützende Gewalt* anzuwenden sowie ansonsten: Akzeptieren. Unser Mindset ändern. Wir wollen doch mutige, selbstsichere, überlegte Kinder. Dann müssen wir auch annehmen, dass sie andere Dinge essen als wir, in Pfützen springen und nass sind, obwohl uns kalt ist, andere Kleidung tragen, eine Hausaufgabe nicht machen, Freunde haben, die uns nicht durchweg sympathisch sind, Spiele mögen, die uns langweilen, eine andere Partei wählen würden als wir selbst…
Wenn das Kind nicht will, dann können wir das nicht immer ändern! So simpel. (Man darf auch Freunde, Verwandte / Großeltern, Erzieher, Lehrer daran erinnern… 🙂 )
(*Du magst mehr über den Gewalt-Begriff lesen: hier!)
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