20 Mrz

Vermisst: Intuition!

„Mit dem Irrtum in der Interpretation

durch Verlust an Intuition beim Erwachsenen

hat die Evolution nicht gerechnet!“

Begeistert habe ich diesen Satz mehrfach hintereinander gelesen (Rüdiger Posth, „Vom Urvertrauen zum Selbstvertrauen“*). Da steckt so viel Wahrheit drin; so oft habe ich genau das schon gedacht, aber konnte es selbst nicht so formulieren.

Es gibt so einige Entwicklungen – wenn ich über diese lese, kann ich sie mir nur so erklären. Da fehlten Bauchgefühl, Herz, Intuition beim Entstehen und Formulieren. Schlafprogramme. Säuglinge, die angeblich egoistisch sind, manipulativ. Perfide Pläne schmiedende Kleinkinder. Tyrannische Kinder. Schon die Begrifflichkeiten, die Gräben ziehen und so etwas wie Feindbilder schaffen.

Diese Sicht auf oft schon Babys und dann Kleinkinder, ohne sich ein Herz zu fassen, ohne Bauchgefühl, bringen „Ammenmärchen und Seemannsgarn“ erst in die Familien und ihre Kinderzimmer. Hier fehlen nicht nur Wissen, sondern schlichtweg Empathie, Intuition, genaues Hinsehen – oft liegt es womöglich an fehlender Zeit? Oft vielleicht auch daran, dass Babys und Kinder nicht in der Masse im normalen Alltag vorkommen wie es vor einigen Generationen noch alltäglich war?! Da kann man vielen Erwachsenen gar keinen Vorwurf draus machen. Mehrgenerationenhäuser – wo gibt es die noch? Wo man vielleicht die Nichten und Neffen aus den Familien der älteren Geschwister schon mal als Babys erlebt, bevor man eigene bekommt. Zu oft sind wir auch zu separiert – die Großeltern und vielleicht noch Urgroßeltern sind zu weit weg, um die Enkel und Urenkel im Alltag zu erleben und verstehen zu können, was sie wirklich gerade ausmacht in ihrer jetzigen Lebensphase. Umgekehrt geht es Kindern mit Senioren ja häufig ähnlich.

Dann springt der Kopf an. Urteile, Vorurteile. Einfache Schlüsse. Buchtitel mit simplen, großen Überschriften. „Das war bei mir als Kind auch schon so!“ Und ruckzuck wird normales, evolutionär erklärbares Verhalten den Kindern zum Nachteil ausgelegt.

Dabei lohnt es sich, wissenschaftliche Studien, Beobachtungen und persönliche Erfahrungen sowie auch Empathie zusammen zu führen, um unsere Kinder zu verstehen. Wenn uns die Vorbilder und Erlebnisse mit Kindern im Alltag fehlen, bevor wir selbst welche haben, und uns die Intuition abgeht, weil sie gut zugedeckt ist, müssen wir sie uns dringend wieder in den Bauch hineinholen! Gegebenenfalls auch mit Hilfe von guter Lektüre, die uns anleitet, um uns bald wieder rasch mehr selbst zu vertrauen – und unseren kompetenten Kindern.

So wird zum Beispiel unabdingbar klar, dass Passivität, also Nichtreagieren bei Schreien, Fremdeln, Wutanfällen usw. im jeweiligen Alter, in dem dies vorherrscht, immer ungünstig und eher verstärkend als verhaltensverändernd wirkt. So wird zum Beispiel erkannt werden, dass Strafen einem Kind nichts beibringen außer zu verstehen, was Ohnmacht ist.  So wird es zum Beispiel möglich werden, zu erkennen, dass es vollkommen unsinnig ist, ein Kind für ein Verhalten mit Belohnungen locken zu wollen, das ihm noch gar nicht möglich ist. So werden „Ammenmärchen und Seemannsgarn“ herausfinden aus unseren Kinderzimmern, Häusern und Familien.

 

*Rüdiger Posth vertritt in seinem Buch m.E. an einigen Stellen die Meinung, die primäre Bezugsperson könne über einen längeren Zeitraum nur die Mutter sein. Diese Meinung vertrete ich ausdrücklich nicht.

IH