09 Aug

Warum Winterhoffs Tyrannenthese umstritten ist – heute Abend in der ARD

Heute Abend zeigt die ARD einen Film über die Thesen des Kinder- und Jugendpsychiaters Michael Winterhoff. Viele Fachleute, u.a. auch aus dem Kreis der Bindungsträumer:innen, haben das Projekt ein Stückchen mit begleitet.

UPDATE:

Winterhoff: „Kinder, die aufgrund fehlender psychischer Voraussetzungen nicht in der Lage sind, falsches von richtigem Verhalten zu unterscheiden, entwickeln sich zu eben jenen Tyrannen und Monstern, vor denen wir im Alltag immer häufiger mit einer großen Fassungslosigkeit stehen.“

(Winterhoff, Michael. Warum unsere Kinder Tyrannen werden: Oder: Die Abschaffung der Kindheit (German Edition) . Gütersloher Verlagshaus. Kindle-Version.)

Warum das nicht stimmt und wie M. Winterhoff mit Kindern wirklich umgeht, ist in der Reportage der ARD „Warum Kinder keine Tyrannen sind“ zu sehen.

@traumaimpuls schreibt auf Twitter dazu:

Programmhinweis: Warum Kinder keine Tyrannen sind! Thesen von Michael Winterhoff sind hoch umstritten – heute Abend in der ARD.

Ich war mit der Filmemacherin Frau Rosenbach immer wieder im Austausch. Ich bin sehr danbkar, dass sie sich diesem Thema angenommen hat. Meine Haltungen und Ansichten stelle ich hier zur Verfügung.
  1. Frühkindlicher Narzissmus: Winterhoff verwendet stellt dies vor Eltern und in seinen Büchern als Diagnose und Krankheit dar. Dies entspricht keinem fachlichen Konsens. Es gibt diese Diagnose nicht! Narzissmus bei Kindern ist ein Zeichen sicherer Bindung. Wenn Kinder sicher gebunden sind, sind Eltern ihren Bedürfnissen nach Anerkennung nachgekommen. Sie können ihre Wünsche äußern, sind in der Regel selbstbewusster und „erfolgreicher“ im Beruf.

Ein vermeintlich krankhafter Narzissmus im Rahmen einer Persönlichkeitsstörung wird erst im Erwachsenalter gestellt, da die Persönlichkeit von Kindern in den Altersstufen noch flexibler ist.

 

  1. Symbiotische Beziehung als Hauptursache von „auffälligen Kindern“: Natürlich gibt es Eltern, die „zu nah dran sind“, die ihre Kinder nicht loslassen können. Dies ist jedoch nicht die Regel und erst Recht nicht die Hauptursache für psychische Erkrankungen bei Kindern. Forschungsstand ist: Eine sichere Beziehung und Bindung zu den Eltern beugt psychischen Erkrankungen vor. Wie in der Dokumentation zu sehen ist, lässt Winterhoff andere Diagnosen (in dem Fall Autismus) außer Acht und schreibt mit seiner „Diagnose“ der symbiotischen Beziehung den Eltern und Kindern die Schuld für Ihre Probleme zu. Das ist fachlich nicht haltbar und falsch.

Wichtig dabei, Winterhoff beschreibt Fälle aus seiner Praxis als allgemeingültig. Wir sehen Kinder mit Symptomen, dies entspricht jedoch nicht jedem Kind. Willensstarke „bockige“ Kinder, die ihre Bedürfnisse äußern, sich nicht krank. Fürsorge ist keine Symbiose!

 

  1. Was ist seine Antwort auf „bockige“ „trotzige“ Kinder? Er beschreibt dies als Hinweis auf Fehlverhalten und empfiehlt Eltern dies zu sanktionieren. Wie genau die Sanktionen aussehen sollen, benennt er nicht. Als eine Maßnahme nennt er Waldspaziergänge für Eltern und empfiehlt Eltern ihre Kinder zu ignorieren.

In dem Film wird jedoch deutlich, dass M. Winterhoff, seine Patient:innen mit Neuroleptika sediert. Auch Patient:innen die offenkundig keine Störung des Sozialverhaltens aufweisen, wie z.B. Jana, die in der gezeigten Akte als ruhiges und angepasstes Kind beschrieben wird.

Auch die Empfehlung Kinder zu ignorieren ist nicht fachlicher Konsens. Kinder mit psychischen Erkrankungen benötigen psychotherapeutische Unterstützung. Wichtig ist jedoch: Alle Kinder, die psychisch gesund sind, „bocken“ oder „trotzen“ mal, sie sind wütend und glücklich, sie zeigen die gesamte Palette an Gefühlen. Dies sollte begleitet werden: Gefühle dürfen sein, sie sollten eingeordnet werden, begleitet werden und auch Eltern dürfen gefühlvoll ihre Grenzen benennen. Ignorieren von Kindern kann zu psychischen Symptomen führen und ist nicht angemessen.

 

  1. Warum sind die Bücher so erfolgreich? Er beschreibt Fälle aus seiner Praxis als allgemeingültig und macht Eltern Angst. Kinder werden als Tyrannen, Monster, von der Gesellschaft gehasst mit fehlender psychischer Reife dargestellt und seine Darstellung als einzig richtig.

Kinder, die ihre Gefühle zeigen, sind jedoch nicht krank oder auffällig. Sie sind wunderbar. Sie brauchen Leitung , jedoch ohne Sanktionen, sondern im Miteinander.“

Mehr lesen könnt Ihr auch hier und hier. Weitere Themen wurden hier und hier zusammengetragen.

Text der ARD zum Film:

Der Kinderpsychiater Michael Winterhoff ist gern gesehener Gast in Talkshows und hält europaweit Vorträge. Mit seinem Buch „Warum unsere Kinder Tyrannen werden“ (2008) löste er eine heftige Erziehungsdebatte aus.

Ob über Erziehung oder Bildung – fast jedes seiner Bücher wird zum Bestseller. Der Kinderpsychiater hat eine Praxis in Bonn und ist deutschlandweit auch für Einrichtungen der Jugendhilfe tätig.

Seine Bewertungen zum frühkindlichen Narzissmus und zur Eltern-Kind-Symbiose sind unter Fachleuten jedoch nicht unumstritten. Die Dokumentation „Warum Kinder keine Tyrannen sind“ geht der Frage nach, was der Ansatz des bekannten Kinderpsychiaters für Eltern und Patienten bedeutet.

Ein Film von Nicole Rosenbach – heute, 09.08.2021, 23.15 Uhr