Heidemarie Brosche und Jana Mosquito: „Und trotzdem habe ich dich immer lieb“
Neele Mayer hat in einer Elterngruppe ganz begeistert von einem Kinderbuch geschwärmt, das wir euch nicht vorenthalten möchten. Daher hat sie für uns eine ausführliche Rezension geschrieben. – Neele (37) wohnt mit ihrem Mann und den zwei Wirbelwinden (4 und 2 Jahre) im Großraum Stuttgart. Neben dem gemeinsamen Draußen-Sein ist das gemeinsame Lesen und das Anschauen von Bilderbüchern ein ganz wichtiger Anker im Familienalltag.
Das Bilderbuch „Und trotzdem habe ich dich immer lieb“ von Heidemarie Brosche und Jana Mosquito ist ein Tipp für alle Familien mit Kindern ab ca. 2,5 Jahren, die beziehungsorientiert Leben wollen und dann doch immer mal wieder an sich und dem (Alltags-)Leben „scheitern“. Zum gemeinsamen bindungs-/beziehungs-/bedürfnisorientierten Leben gehört eben auch dazu, über das zu reden was nicht so klappt, wie man es sich vorstellt oder wünscht. Das meint Verständnis herzustellen für den jeweils anderen, und das geht nur über das Verstehen der Situation und der Perspektive des Gegenübers.
Was gibt es hierfür schöneres als gemeinsam bei der allabendlichen Vorleserunde in kuscheliger Atmosphäre genau das mit einem passenden Bilderbuch aufzugreifen und nebenbei die wichtigste Botschaft überhaupt an unsere Kinder zu senden: Und trotzdem habe ich dich immer lieb!
Der Inhalt
Es ist Abend. Der kleine Biber ist viel zu spät nach Hause gekommen und wird von einer wütenden, den mahnenden Finger hebenden Biber-Mama erwartet.
Als nächstes erwartet man gedanklich schon den Klassiker: Schimpfen, eine ausgesprochene Strafe, Wut, Geschrei, Tränen und ein „ab mit dir ins Bett…“!
Aber weit gefehlt: Das Biberkind liegt mit angstvollem Gesicht im Bett und die ernst schauende Mama kommt mit einer dampfenden Tasse ins Biberkinderzimmer.
Sie kommen ins Gespräch und es ist der Auftakt zu einem wunderschönen Austausch zwischen Mama und Kind über die jeweils andere Perspektive:
„Bist du mir noch böse?“ fragte er.
„Ich habe mir große Sorgen gemacht“, sagte Mama. „Und ich hab mich geärgert. Du hattest mir versprochen, pünktlich zu Hause zu sein.“
In ihrem Gesicht war kein Lächeln. Noch nicht einmal ein winziges.
Der kleine Biber fragt daraufhin ob die Mama ihn nun nicht mehr lieb hat – und die Mama antwortet sofort: „Ich hab dich immer lieb.“
Daraufhin frag das Biberkind im Gespräch verschiedenen Situationen ab, um sich zu vergewissern, ob die Mama ihn denn auch dann noch lieb hat, wenn er dieses oder jenes gemacht hat.
Im Miteinander bleiben
Durch einen ganz besonderen und trotzdem sehr einfach gehaltenen Dialog der beiden, unterstützt mit schönen Zeichnungen der Alltagsszenen, offenbart sich dabei die jeweilige Perspektive der anderen Person auf die jeweilige Situation. Immer wieder endet der nächste Teil des Dialogs mit der Versicherung der Mama: „Ich hab dich immer lieb.“
Ich hab dich lieb, auch wenn ich mich ärgere und ein böses Gesicht mache. Ich hab dich auch lieb, wenn du etwas kaputt machst und mich das stinksauer macht. Ich hab dich lieb, auch wenn du beim Anziehen trödelst. Ich hab dich auch lieb, wenn du gefährliche Sachen machst.
Ich hab dich immer lieb.
Das Schöne ist, dass dabei nicht nur das Biberkind die Perspektive der Mama erfahren darf. Nein, auch die Mama darf erfahren, wie das Biberkind sich fühlt, wenn sie ein ärgerliches Gesicht macht. Und die Mama kommt im Gespräch drauf, dass ihre Reaktionen auch manchmal eigentlich nichts mit dem Biberkind zu tun haben:
„Ehrlich gesagt“, flüsterte sie plötzlich, „hat es manchmal noch nicht mal etwas mit dir zu tun, wenn ich nicht nett bin.“
Sie seufzte.„Ich habe Kopfweh oder ich habe meine Arbeit nicht gut gemacht oder mich hat jemand anderes geärgert. Und dann kriegst du es zu spüren. Das tut mir am meisten leid.“
Und wieder findet ein toller Dialog und Perspektivwechsel statt.
Am Ende dieses wunderbaren ehrlichen, warmen Austauschs im kuscheligen Bett kommt, bervor das Biberkind zufrieden und geborgen einschlafen kann von beiden das abschließende: „Und trotzdem habe ich dich immer lieb.“
Das Resümee
Das Buch ist wahnsinnig schön, weil es mit seinen Texten und Bildern nicht nur die Kinder anspricht, sondern auch etwas mit uns Eltern macht. Weil es einen anregt nachzudenken, zu verstehen und mit dem Kind ins Gespräch zu gehen. Ganz ohne Vorwürfe, ganz ohne Forderungen und mit der wichtigsten Botschaft überhaupt:
„Egal was du gemacht hast“, sagte sie „ich hab dich immer lieb. Auch wenn ich mich ärgere oder traurig bin oder enttäuscht. Das hat mit dem Liebhaben nichts zu tun.“
Einziges Manko an diesem Buch: Weder ein anderes Elternteil noch ein Geschwisterkind tauchen in dem Buch auf und leider ist es wieder (nur) die Mutter, die sich diesen essentiellen Fragen von Beziehung und Austausch stellt.
Eine Erweiterung des Buches um einen anderen Elternteil und Geschwister wäre deshalb toll: also eine tolle Möglichkeit für „Fortsetzung folgt“ – denn: Die Buchwelt braucht mehr solche Bücher!