Herbert Renz-Polster: „Erziehung prägt Gesinnung“
„Wer selbst keine ‚Willkommenskultur‘ erfahren hat, dürfte für eine Willkommenskultur Fremden gegenüber wenig übrig haben. (…)“
(Claus Koch, zitiert im o.g. Buch)
Während ein unkommentierter Film dem Publikum klinische Methoden mit teilweise bedenklichen Grundlagen im Umgang mit Kindern und familiären Beziehungen zeigt, von weiten Teilen der deutschen Presse hochgelobt wird und hier Kinder in Not zur Schau gestellt werden, um vermeintlich eine gesellschaftliche Diskussion auszulösen, schaffen Herbert Renz-Polster mit seinem Buch „Erziehung prägt Gesinnung“, Anke Elisabeth Ballmann mit ihrem Werk „Seelenprügel“ und andere mehr, echt zu bewegen, aufzuzeigen, hinzuschauen und zum Aktivwerden anzuregen, ohne voyeuristisch zu sein und fragwürdige Praktiken zu unterstützen (die im krassen Gegensatz z.B. zur klinischen Anwendung der Bindungstheorie wie bei COS stehen).
Herbert nimmt uns in seinem Buch mit durch verschiedene Zeiten, Länder und politische Systeme, führt Studien zusammen und erklärt sehr stimmig und nachvollziehbar, dass „Emotionale Sicherheit im Kontext bedeutsamer Beziehungen ensteht.“ und nicht Arbeitslosigkeit, Armut o.ä. Faktoren die Wähler rechter, autoritärer Parteien weltweit zusammenbringt, sondern eben ein ihnen innewohnendes Wertesystem sowie verinnerlichte Erfahrungen aus ihrer Kindheit: emotionale Unsicherheit, fehlende Beziehungen. Sie sind tendenziell eher in Angst, Unberechenbarkeit und großer Verletzlichkeit aufgewachsen und haben wenig Schutz oder Mitgefühl erfahren. Daher suchen sie im Erwachsenenalter (und schon davor) eher Sicherheit in klaren, einfachen, ordnenden Systematiken – manche eher unten als Mitläufer, manche eher oben als Machthaber.
Er verfolgt dabei keineswegs eine Art von „Vorbestimmungslehre“, sondern weist nur auf Gemeinsamkeiten und deutlich höhere Wahrscheinlichkeiten hin für die Empfänglichkeit autoritärer Weltanschauungen.
„Werden Eigeninitiative und Mitbestimmung großgeschrieben – oder werden sie gefüchtet?“
Lernen Kinder Demokratie und Mitgefühl im Elternhaus oder nicht? Wichtigste Grundsteine werden hier gelegt. Die „Ausrede“ „schwere Kindheit“ ist keine vorgeschobene, sondern oft eben doch eine sehr wichtige Sichtweise!
Und nun?
Was macht dieses Buch so relevant, abgesehen davon, dass es dabei hilft, zu verstehen, was wir Bindungsträumer so schwer verstehen können: dass es Menschen zu Parteien wie der AfD zieht, zu Menschen wie Le Pen oder Trump, zu Forderungen wie „Ausländer raus“?
Es fordert von uns ein, offen dafür einzustehen, dass unsere Erziehungskultur weiter und weiter erneuert wird – beziehungsorientierter! Wir dürfen nicht dabei zu sehen, wie Kinder psychische Gewalt erfahren, müssen den Mund aufmachen in Kindergärten und Schulen, müssen aktiv mitarbeiten, die Kindheitswelt zu verändern. Wir müssen helfen, dass Eltern erfahren, wo alte Denkmuster in ihren Köpfen stecken, wo die herkommen und dass sie unsinnig sind. Wir müssen Mitgefühl fördern und leben – nicht Angst, Häme, Hinterlist, Bedrohung sehen und danach agieren. Nicht das Recht des Stärkeren leben und Strafe als Lösung ansehen (Strafe macht Beziehungen kaputt!).
„Menschenbilder begründen Kinderbilder, Kinderbilder begründen Erziehungsmuster.“
Und: wir müssen immer, immer wieder aufeinander zugehen. Im echten Leben. Nicht in sozialen Netzwerken, wo alles so schnell eskaliert, keine Mimik, keine Intonation erkennbar ist, wo oft eben doch die Beziehunsgebene fehlt.
Mutig „Kindheit wagen!“
Wir wünschen uns Politiker, Menschen, Kinder, die „liebevoll, demokratisch, zuverlässig und gewaltfrei“ sind. Sie werden es am wahrscheinlichsten, wenn sie liebevoll demokratisch, zuverlässig und gewaltfrei erzogen werden.
- Begleitet statt allein.
- Zugewandt statt von oben herab.
- Im Austausch und mit Kompromissen statt übergehend und bestrafend.
- Umarmt statt geschlagen, gedemütigt und ignoriert.
Wir geben eine unbedingte Leseempfehlung für dieses Buch!
„Ist so’n kleines Rückgrat
sieht man fast noch nicht.
Darf man niemals beugen
weil es sonst zerbricht.“
(Bettina Wegner, zitiert im o.g. Buch)
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