15 Jun

Marlene Hellene: „Zu groß für die Babyklappe“

Ui, der Titel auf der Bindungsträumeseite? Wie konnte das denn passieren? Eine Mutter beschreibt den stressigen Alltag mit ihren Kindern und sehnt sich danach, sie loszuwerden??

Ha. So simpel ist es nicht!

Die Autorin ist nicht einfach genervt von ihren Kindern, sondern eigentlich von den Bedingungen durch Einschulung, Job, Unsicherheiten, Pflichten, diversen Anforderungen, die den Kopf zum Platzen bringen – von allem zusammen. Das ist das was wir alle kennen und was an vielen Stellen einfach unerwähnt bleibt. Warum?

Weil in uns das Gefühl steckt, wir dürften Familie so nicht sehen. Aber auch weil es sofort böseste Kritik gibt, wenn wir es doch wagen. Schließlich haben wir uns das Elternsein doch selbst ausgesucht!!! Pah.

Genau darum ist es so wichtig, auch über das Anstrengende an Familie zu reden, sogar mit solch einem überzeichneten Titel wie „Zu groß für die Babyklappe“ (Marlene Hellene, rororo/Rowohlt, 2020). Familienleben ist keine Margarinewerbung! Wissen wir doch. Dann lasst es uns auch sagen.

Familie ist Arbeit

Und: wir sitzen alle im selben Boot! Gemeinschaft schafft Erleichterung – „den anderen geht es auch so wie mir“. Und Lachen schafft da Entspannung – was Marlene mit Bravur meistert. Allein das Kapitel über die Anschaffung des ersten Schulranzens für ihr großes Kind macht einen humortechnisch fertig. Man fühlt sich so in dem Moment, spürt den mütterlichen Unwillen, die Absurditäten, merkt sogar fast, wie man diverse Geldscheine auf den Kassentisch legen muss. (Wobei die Autorin mich schon gefesselt hatte mit der einleitenden lapidaren Fetstellung, dass es 72 Schulferientage pro Jahr gibt. ZWEIUNDSIEBZIG! Und ja: ich war auch die Mama, die immer dachte, wenn die Kinder erst mal in der Schule sind, hab ich wieder mehr Zeit für mein Leben. Haha. Grundschule war damit jedenfalls nicht gemeint. Das weiß ich jetzt.)

Der Leser hat das Gefühl, er sitzt mit Marlene auf einer Parkbank, immer in Rufbereitschaft zum kletternden Kind (natürlich!), und hört ihre Sicht auf die Pflichten und nervtötenden Momente als Mama, die man selbst kennt. Und dabei ist das Buch eine großartige Mischung und ein Gefühlsritt aus Lachen, Seufzen, Augenverdrehen und Hachzen: Man darf und muss sagen, was stresst, und kann gleichzeitig voll sein mit Liebe für die eigenen Kinder und das was sie tun.

„Wenn Coronaeltern jetzt die Klappe halten sollen, weil sie die Kinder wollten, nicht verhüten haben, dann wird gefälligst über gar nichts mehr geredet.
Was verloren: hättstes ma nich gekauft.
Kaputtes Auto: hättstes ma nich gefahrn.
Sportunfall: hättste dich ma nich bewegt.
usw.“

(Der Tweet von @kirsten_fuchs_ gilt nicht nur in Coronazeiten…)

Humor heilt

Ich halte genau auf diese Weise durch: immer ein bisschen Humor im Jammern, stets ein Wechsel aus Begeisterung und Ungläubigkeit dem Verhalten der Kinder gegenüber. Ich bin verzückt bei der Schulaufführung, aber beim dritten Lied genervt, während andere Eltern sich zum Fotografieren vor mich drapieren oder mich anstoßen und auf ihren großartigen Chorknaben hinweisen, und dann möchte ich schreien, mir bei „Mein Hut der hat 3 Ecken“ die Ohren zu halten und würde am liebsten mit Marlene rausgehen und einen Kaffee trinken.

Ich empfehle Euch das Buch, wenn Ihr Lust auf diese Blicke, dieses Wiedererkennen, das Lachen und Mitfühlen habt – und auch wenn Ihr nicht abgeneigt seid, mal darüber nachzudenken, dass es vielleicht in Eurem Leben einen wahren Kern gibt, der aus einer Überforderung, einem Zuviel auf Euren Schultern besteht. Denn  auch das vergisst Marlene nicht. Wenn  wir Mamas  zu oft an „die Babyklappe“ denken, ist irgendwo ein Ungleichgewicht und Hilfe muss her. Der Untertitel des Buches „Geschichten aus dem Müttergenesungswerk“ erinnert uns daran, dass wir uns Hilfe suchen dürfen und müssen, wenn wir uns nicht mehr „gesund“ fühlen, so wie es läuft.

Ich bin gespannt, wie Euch das Buch gefällt, das am 16. Juni 2020 erscheint, und wünsche Euch als Bindungsträumerin Marlenes Emotionskompott aus Festhalten- und Loslassenwollen (Wurzeln und Flügel!), aus Mutterherz und Selbstfürsorge, sowie die richtigen Menschen an Eurer Seite und im Euren Netz, um das zu stemmen. Das mit viel Lachen nochmal intensiver anzugehen, ist definitiv eine gute Idee!

IH

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