25 Mai

Schlafprogramme – Was fehlt ist Mitgefühl!

Wenn Dein Baby wie ein Baby schläft, dann hast Du morgens vermutlich Augenringe und bekommst den Mund vor lauter Gähnen kaum zu. Dank Hormonen ist es vielleicht auch erst mittags ganz furchtbar mit Deiner Müdigkeit, aber sie ist da. Irgendwann kommt dann womöglich jemand mit der Meinung um die Ecke, Dein Baby schliefe falsch – es könne doch auch wie ein Stein schlafen! Was? Machst Du etwa etwas falsch?

Schnell ist dann meist auch irgendwer in Deinem Umfeld, der DEN Tipp schlechthin für Dich hat: ein Schlafprogramm. Herz aus, Plan an, trainieren. „Kontrolliertes Schreienlassen“. Klingt herrlich simpel und wie ein geprüfter Weg, den man ausprobieren sollte?! Bitte schau ihn Dir genauer an, bevor Du Dich auf diesen Weg einlässt – auch bei Kindern nach dem Babyjahr!

Der beste Weg, sicher im Umgang mit Deinem Kind zu sein, ist, zunächst einmal zu wissen, was natürlich ist, und wie Babyschlaf wirklich funktioniert. Ammenmärchen helfen keinem. Denn auch wenn es Dich fertig macht, kannst Du nicht einfach daran herumdoktern; nur weil es dich anstrengt, dein Kind ständig zu tragen, kannst du nichst Gesundes unternehmen, damit es schneller fähig ist zu laufen. Das gleiche gilt beim Schlafen auch!

So ist es wirklich!

Wir haben die Fakten für Dich zusammengestellt:

  • Etwa 86 % aller Kinder wachen regelmäßig bis zum 1. Geburtstag nachts (mehrfach) auf; bei den Jungs ist die Zahl im Schnitt etwas höher als bei den Mädchen.
  • Auch im 2. und 3. Lebensjahr ist nächtliches Erwachen häufig, beispielsweise bei ca. 40 % der Kinder im Alter von 2 Jahren. Nach dem 3. Geburtstag sprechen einige Quellen immer noch von 20-25 % der Kinder, die nachts wach werden, ohne dass man von Schlafstörungen sprechen kann; sie sind noch mitten im Reifeprozess hinsichtlich des glückenden Schlafphasenwechsels.
  • Jeder Mensch benötigt unterschiedlich viel Schlaf – schon bei Neugeborenen kann die Anzahl der Schlafstunden pro Tag zwischen 9 und 17 Stunden variieren.
  • Einen richtigen Tag-Nacht-Rhythmus entwickeln Babys oft erst mit etwa 6 Monaten mit erkennbar deutlich mehr Schlafphasen nachts als tagsüber.
  • Kinder bleiben in der Regel nicht freiwilig zum Schlafen alleine, wie Erwachsene es können. Sie benötigen ein Sicherheitsgefühl, um in den Schlaf zu gelangen – dies wird gespeist aus Nähe, Wärme, Sattsein, ausreichend Müdigkeit, Vertrauen. Es ist nicht erreichbar durch Disziplinierung.
  • Die für die Hirnentwicklung unabdingbare Nahrung holen sich besonders Stillkinder zu etwa 1/3 nachts. Der Kalorienbedarf aller Kinder bleibt bis zum Alter von etwa 12-24 Monaten nachts erhöht, da durch die Milchnahrung bedingt der Milchzuckeranteil hoch ist und der Glykogenspeicher in der Leber gemessen am Bedarf für eine gesunde Entwicklung noch zu klein ist sowie in den REM-Phasen im Schlaf extrem viel Reifung geschieht und viele Kalorien verbraucht werden.
  •  Es wird immer wieder behauptet doch ist einfach falsch, dass Babys ab 6 Monaten nachts grundsätzlich keine Nahrung mehr bräuchten! Es gibt kein biologisches Alter, an dem man das für alle Kinder definieren kann. Man weiß nur, dass das Gehirn ab etwa 2 Jahren keinen Schaden mehr nimmt, wenn man ihm die Nahrung vorenthält, aber dass es ganz natürlicher Weise auch Kinder gibt, die mit über 2 nachts Hunger haben.
  • Warnung: Vorm Überfüttern mit extra stark kalorienhaltigen Lebensmitteln vor dem Zubettgehen mit dem Wunsch, das Baby wäre dann länger satt und könne entsprechend länger schlafen, ist absolut abzuraten. Zum einen ist dies kein gesundes Essverhalten. Zum anderen können der persönliche Rhythmus und die Eigenregulation vollkommen durcheinander geraten.
  • Kinderschlaf ist weniger tief als Erwachsenenschlaf. Babys brauchen in der Regel mindestens 20 Minuten, bis sie in der Tiefschlafphase angekommen sind, und sollten nicht zu früh abgelegt werden, um Aufwachen zu verhindern. Ihre Schlafzyklen dauern nur etwa 50-70 Minuten. Ob sie den Wechsel von einer Schlafphase in die nächste schaffen, ist ein individueller Reifeprozess – dies kann und muss nicht von außen angelernt werden!

  • In bestimmten Entwicklungsphasen wie z.B. bei motorisch starkem Fortschritt werden die Nächte ganz typischerweise wieder eine Zeit lang unruhiger; dies ist eine normale Wellenbewegung.

Schlafprogramme – als wenn der Mensch eine Maschine wäre

  • Von Schlafprogrammen, die eigentlich eine Schlafstörung, ein Leiden, behandeln sollen, was im Falle eines normalen Babys aber eigentlich nie vorliegt, kann man mit Blick auf eine beziehungsorientierte Elternschaft nur die Finger lassen! Wie so viele Ansätze, so soll auch hier mit Bestrafung ein unerwünschtes Verhalten ausgemerzt werden: Wenn Du nicht schlafen kannst, musst Du alleine bleiben! – Über kurz oder lang wird das Kind „schlafen“, aber keinen gesunden Schlaf. Es handelt sich um die sog. „Schutzstarre“, in die der Körper vor Stress verfällt,  was noch deutliche Zeit später am Cortisolspiegel nachzuweisen ist. Wer das in Angriff nimmt, gibt das Mitgefühl für sein Kind auf, versteht sein Weinen nicht als Kommunikation, und bringt Beziehung und Bindung ins Wanken! Die Schlafprobleme sind des Weiteren damit oftmals nicht gelöst, sondern kommen später wieder hoch, denn das Kind hat keine Selbstberuhigung lernen dürfen, sondern nur Selbstschutz und Verlassensein – sprich: es lag keine Schlafstörung zu Grunde, aber es wurde eine produziert! (Mehr zum Thema gibt es hier.)
  • Kinder werden nicht verwöhnt, geraten nicht in eine Abhängigkeit von ihren Eltern und lernen auch nicht, dass sie immer ihren Willen bekommen, wenn man ihnen in ihrem Bedürfnis nach Nähe und Sicherheit beim Schlafen entgegenkommt. Bindungs- und beziehungsorientierte Eltern glauben daran, dass das gestillte Bedürfnis verschwinden wird und Platz machen wird für etwas Neues und damit Mut und gestiegenes Selbstvertrauen.
  • Liebevolle Einschlafhilfen können alles Dinge / Abläufe sein, was Euch gut tut, was dem Kind eine emotionale Unterstützung gibt, was allen möglichst viel Schlaf mit möglichst wenig Aufwand gewährleistet – zum Beispiel das Familienbett*, für ganz Kleine eine Federwiege direkt über dem Bett der Eltern, das Tragen, der Pezziball, der Schnuller, das Stillen, ein Schnuffeltuch, Singen, eine Spieluhr, ein Nachtlicht, ein erstes Kuscheltier, eine Wiege, ein Beistellbett, eine Hängematte, ein Kinderwagen auch im Haus, zeitweise auch pucken, später ein dünnes Kopfkissen, Enge durch ein Stillkissen, ein T-Shirt mit Mamas Duft, ein leicht warmes Kirschkernkissen, „Weißes Rauschen“ durch Föhn o.ä. und und und. – Alles, was Ihr beginnt, muss nur jetzt im Moment passen. Es ist auch wieder änderbar, aber eben langsam. Vieles wid sich auch von ganz alleine wieder ändern.
  • Gute Voraussetzungen am Tag für eine ruhige Nacht sind auch hier nicht zu viel Aufregung, frische Luft, leichtes Essen, normales (also nicht extra kalorienreiches) „Dreamfeeding“ – und das Annehmen der Gegebenheiten. – Außer-Haus-Betreuung und geweckt werden zu bestimmten Zeiten ist machbar, aber Anspannung für ein Kind, d.h. unruhige Nächte sind eine erklärbare Folge, die wir Eltern annehmen müssen! (Gute Schlafberatungen schauen daher immer auf die Gesamtsituation, nicht nur auf die Nacht.)

Das Schlafzimmer sollte niemals ein Ort der Erziehung sein, sondern ein Ort, an den die ganze Famile gerne geht, um sich zu erholen und zu entspannen, an den die Kinder  irgendwann freiwillig gehen oder gebracht werden möchten, wenn sie spüren, dass sie müde sind vom Tag. Das Bett sollte zu einem ihrer liebsten Orte werden und nicht verbunden sein mit schlechten Gefühlen, Angst vor dem Alleinsein oder der Dunkelheit.

Jede Familie kann gemeinsam ihren Weg des Schlafens finden. Bleibt geduldig, tauscht Euch aus, jammert miteinander, sucht Euch Hilfe, schlaft wo und wann es passt, egal was andere denken – haltet durch! Ggf. sucht eine beziehungsorientierte Schlafberatung auf, z.B. 1001kindernacht.

Vorsicht

Bleibt kritisch, wenn euch ein Arzt oder Therapeut eine schnelle, einfache Veränderung verspricht.

Sucht immer eine Möglichkeit, euch in den heimischen vier Wänden helfen zu lassen; eine klinische Umgebung tut einem unsicheren Kind ganz sicher nicht gut!

Werdet laut, wenn im Freundeskreis, der Verwandtschaft, im Babykurs, dem Turnverein, der örtlichen oder auch der überregionalen Presse wieder und wieder Schlafprogramme propagiert werden. Sie sind ein Mittel einer autoritären oder auch einer zurückweisenden Erziehung; beides ist nachweislich negativ für die Entwicklung der Eltern-Kind-Bindung und des Kindes selbst.

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