25 Apr

Tragen ist Liebe

Mein großes Mildikind war ein Extremfrühchen und kam in der 26. SSW zur Welt. Er sah aus wie ein Vögelchen, das aus dem Nest gefallen war, er war so klein und zerbrechlich. Drei Tage nach seiner Geburt durfte er zum ersten Mal aus dem Inkubator. Er wurde mir auf die Brust gelegt und war endlich wieder da, wo er hingehörte – ganz nah bei mir. Die nächsten zwölf Wochen haben wir in der Kinderklinik so viel wie möglich gekuschelt und wurden dann nach Hause entlassen.

Getragen habe ich ihn kaum. Nach zwölf Jahren Krankenpflege war mein Rücken im Eimer und die uralte Tragehilfe von meiner Schwester machte daraus auch nicht gerade ein Erfolgserlebnis. Als Fabian etwas über drei Kilo hatte, gab ich wegen der Schmerzen auf und schob nur noch. Mein Baby hatte nichts dagegen und der sündhaft teure Kinderwagen sollte schließlich auch etwas zu tun haben.

Heute weiß ich, dass das Mildikind durch die Zeit in der Klinik total hospitalisiert war und sich nicht so verhalten hat, wie das Menschenkinder üblicherweise gern tun. Ich konnte ihn auf dem Rücken in den Kinderwagen legen, ohne Protest und Körperkontakt durch die Gegend schieben und schlafend stundenlang irgendwo abstellen.

Vier Jahre später bekam Fabian eine kleine Schwester. Julika zeigte mir mal so richtig, wie das in echt funktioniert mit den Menschenkindern. Da war nichts mit Kinderwagen oder irgendwo ablegen, so gar nicht. Diesmal lieh ich mir von einer Freundin eine Tragehilfe, fand sie aber unbequem und machte mich auf die Suche nach einer Alternative. Es folgten verschiedenste Tragehilfen, elastische und gewebte Tragetücher, aber alles war mehr so suboptimal. Ich hatte die Nase voll, war aber zu geizig für eine Trageberatung. Die Rettung: ein Testpaket aus einem Onlineshop. Es war Liebe auf den ersten Blick.

Von da an machte Tragen Spaß. Das kleine Mildikind und ich spazierten stundenlang durch die Welt, es war so praktisch und einfach und nah und so wunderschön. Sie schlief schaukelnd ein und ich lief und lief, bis sie glücklich wieder aufwachte. Keine Spur von Rückenschmerzen, dafür stramme Wadeln und gute Laune.  Selbst Kommentare wie „Immer diese Hippies“ und andere Nettigkeiten konnten diese nicht schmälern oder mich gar vom Tragen abhalten.

Julika verhielt sich noch in vielen anderen Dingen ganz anders als ihr großer Bruder und ich ließ mich auf diese spannende Reise ein und lernte unheimlich viel über Babys und ihre Bedürfnisse, über Bindung, über Geborgenheit, über artgerechtes Aufwachsen. Und weil ich dieses Wissen weitergeben wollte, bin ich unter anderem Einfach Eltern Coach, Stillberaterin und Trageberaterin geworden und habe mich mit meinen bindungsorientierten Angeboten selbstständig gemacht.

Heute besitze ich eine ziemlich große Auswahl an schönen Tragetüchern und sinnvollen Tragehilfen und weiß, worauf es beim Tragen ankommt. Ich helfe Eltern, die für sie beste Tragemöglichkeit zu finden, stelle Tragehilfen ein und ziehe Tücher ordentlich fest. Ich erkläre in meinen Kursen, wie das mit der Bindung funktioniert und mit den Menschenkindern und überhaupt, und warum Tragen so wichtig ist. Und wenn ich durch die Stadt gehe und Babys in Babybjörns oder Manducas oder grottig gebundenen Rucksäcken sehe, freue ich mich und denke an meine Anfänge. Denn worauf es ankommt ist nicht, dass sämtliche ergonomischen Gesichtspunkte exakt eingehalten, die Anhockspreizhaltung formvollendet oder ein Tuch korrekt gebunden ist. Es kommt darauf an, dass es sich im Herzen so anfühlt wie mein erstes Kuscheln mit Fabian. Dann ist es perfekt.

Tragen ist keine Kunst, Tragen ist kein Wettkampf und Tragen ist kein Dogma.

Tragen ist Liebe.

 

Diesen Artikel habe ich bereits 2015 als Gastautorin für Einfach Klein geschrieben und nur etwas überarbeitet. Den Originalartikel findet ihr hier: www.einfachklein.de

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