19 Jun

Warum bindungsorientierte Elternschaft Selbsterfahrung braucht

Es gibt einen Punkt, da kommen wir mit dem Lesen von Büchern oder Blogposts nicht weiter. Es ist zum Beispiel der Punkt, an dem mein Kind vor Wut schreit und meine eigene Wut hochkocht. An der ich weiß, dass ich jetzt ruhig bleiben sollte, und es doch nicht bleibe. Schlicht weil ich es nicht kann. Das ist einer der Punkte, an denen es etwas anderes braucht als Wissen.

Was es jetzt braucht ist Selbsterfahrung.  

Unter Selbsterfahrung verstehe ich, dass ich eine Erfahrung mache, die mich verändert. Das kann ein Kurs, ein Seminar, eine Beratung, ein Coaching oder eine Therapie sein – oder es kann einfach so passieren.

Der Wert von Büchern, Blogs und Podcast

Ganz klar: Blogposts, Podcasts, ein Video oder Bücher können so hilfreich sein – wir lesen sie und es macht Klick im Kopf. Und vor allem: Es ändert sich etwas in unserem Familienleben. Dein Blickwinkel hat sich geändert und du lässt eine Verhaltensweise fallen – einfach so, weil du verstanden hast, dass diese Idee und dieses Verhalten nicht hilfreich war.

Wenn nur das schlechte Gewissen wächst

Und manchmal reicht das alles nicht. Dann hast du das x-te Erziehungs-Buch gelesen und tagelang Eltern-Podcasts gehört und merkst, dass sich mal gar nichts ändert. Höchstens das schlechte Gewissen wird lauter, da du die ach so tollen Ratschläge oder Ideen oder Theorien oder Methoden anderer hörst und siehst. Dann ist es Zeit für ein Lernen auf anderer Ebene, auf einer viel ursprünglicheren Ebene: dem Lernen durch Erfahrung.

Kinder lernen durch tun – und Eltern ebenso

Wie unsere Kinder vor allem erstmal durch Erfahrung lernen, so lernen wir auch als Erwachsene natürlich ebenfalls noch durch Erfahrung. Manchmal haben wir die Vorstellung, dass es reicht etwas zu lesen, es kognitiv zu erfassen und dann umzusetzen. Das rationale Begreifen von Zusammenhängen ist eine der Meisterleistungen des Menschen. Und doch vergessen wir darüber – vielleicht auch gerade in dieser Gesellschaft, die so viel Wert auf Verstand und formale Bildung legt – das Lernen weit umfangreicher ist.

Wenn scheitern willkommen ist

Auch wir Eltern lernen durch Tun, Ausprobieren und ja, durch Scheitern. Und genauso wie unseren Kinder hilft uns dabei, wenn wir dies in einem Rahmen tun, der uns unterstützt. Eine Umgebung, die Raum gerade für das Ausprobieren und Scheitern bereithält. Und jemand, der uns auf diesem Weg verständnisvoll begleitet.

Das unterstützt Selbsterfahrung

Eigentlich braucht es lediglich die Bereitschaft mich einzulassen. Dass ich offen bin für eine neue Erfahrung, dass ich bereit bin mir Dinge anzuschauen – Dinge bei mir: In meinem Verhalten, in meinem Denken, in meinem Weltbild und in meinen Gefühlswelten.

Selbsterfahrung kann natürlich auch einfach so im Leben mit Kindern passieren. 

Wie gesagt: Ich brauche nicht zwingend ein Seminar oder eine Therapie. Doch manchmal kann genauso ein Lernen – zusammen mit anderen – den Unterschied machen.

Bindungsorientiertes Lernen für Eltern

Unsere Kinder lernen und wachsen in der Bindung zu uns – das ist den meisten klar. Nur: Für uns trifft das ja genauso zu. Auch uns Erwachsenen hilft es eine Begleiterin zu haben, die uns liebevoll Halt gibt, wenn wir etwas Neues ausprobieren.

 

Die passende Umgebung für Selbsterfahrung

Natürlich ist es hilfreich, wenn derjenige, der uns begleitet, Erfahrung hat mit der Herausforderung, vor der wir stehen. Wenn er Feldkompetenz besitzt, wie es so schön heißt. Aber wesentlicher als eigene Erfahrung oder Fachwissen ist vielmehr seine oder ihre Haltung, davon bin ich überzeugt.

Mit Haltung meine ich diese zutiefst humanistische Haltung, die davon ausgeht, dass jeder Mensch wachsen kann. Dass jeder Mensch die Fähigkeiten hat, seine eigenen Lösungen zu finden. Und dass diese Lösungen dann so tiefgreifend sind, wenn es unsere eigenen Lösungen sind.

Die Spielzimmer-Qualität

Wir suchen einen Raum, der die Qualität eines Kinderzimmers, eines Spielzimmers hat. Einen Ort, der Raum bietet sich auszuprobieren und gleichzeitig den liebevollen Halt von jemandem, der für uns da ist. Jemand, der für uns da ist, uns verständnisvoll begleitet und auf uns eingeht.

 

Der Wert eines Begleiters bei deinem persönlichen Wachsen

Beim persönlichen Wachsen ist und war das für mich ein wesentlicher Punkt: wenn da jemand ist, der auf mich eingeht! Denn auch wenn sich die Herausforderungen im Leben von Menschen gleichen, so ist doch jede Herausforderung so individuell wie der dazugehörige Mensch. Braucht jeder Mensch seine eigene individuelle Ansprache. Das unterscheidet dann auch das Buch oder den Selbstlernkurs von dem Seminar, bei dem du von einem Menschen begleitet wirst.

Deine Begleiterin kann sehen, wenn du (ver)zweifelst, wenn du stockst, wenn du nicht weiterweißt, wenn du im Widerstand bist. Zweifeln, stocken, nicht weiterwissen oder im Widerstand sein, brauchen alle ein klein wenig andere Reaktionen. Aber abgesehen davon ist wohl das Wichtigste: Es ist jemand für dich da.

Jemand der einfach sieht: Okay, da geht es nicht weiter. Diese liebevolle Begleitung ähnelt sehr der elterlichen Begleitung des Kindes.

Und so können Eltern gerade von einem guten Kursleiter etwas Wertvolles übers Elternsein lernen: wie man einfach da ist.

So findest du die Begleiterin, die zu dir passt

Für das Gelingen einer Beratung, eines Seminars oder eines Coachings ist vor allem ein Faktor entscheidend: der menschliche! Mir muss der Mensch sympathisch sein, ich muss Vertrauen haben. Das zeigen auch Studien aus vielen anderen Bereichen: In der Schule kommt es auf die Lehrerin an und in der Therapie auf den Therapeuten – oder anders ausgedrückt: Es ist die Beziehung, die Bindung.

Deswegen gilt:

Bindungsorientierte Elternschaft braucht Selbsterfahrung

und

Selbsterfahrung ist bindungsorientiert.

 

Der Text stammt vom Bindungsträume-Mitglied Christopher End.

Zum Weiterlernen: Christopher zeigt Eltern, wie sie ihre Kinder achtsam durch große Gefühle und Konflikte begleiten – in Online-Kursen wie „Wutanfälle deines Kindes gelassen meistern“ (Start 23. Juni 2020) und Tagesseminare wie „Kinderzentrierte Kommunikation“ an.
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