30 Mrz

„Du bist doch jetzt schon groß genug! Du musst damit klarkommen.“

Ein Baby hat plötzlich Angst, in der Krabbelgruppe, in der letzte Woche noch alles gut war. Die es seit Monaten kennt. Die aus kaum 15 Personen besteht, nur Mütter und andere Babys. Es fremdelt.

Ein Kleinkind hat Wut, im Kindergarten. Es geht nur um ein umgestoßenes Bauwerk aus Magneten, an dem es aber den halben Vormittag gesessen hatten. Gedankenverloren, weltvergessen, gefangen im Glück. Und jetzt ist es kaputt, einfach so. Die Wut kocht, die Aggression will raus, ungebremst.

Ein Grundschulkind bekommt plötzlich Gänsehaut im Wald, spürt wie unheimlich es ist. So oft schon war es hier mit den Eltern entlang gegangen. Sie sind nur wenige hundert Meter vor ihm, aber hinter den Bäumen nicht zu sehen. Das Rascheln der Blätter klingt anders als sonst. Die Situation ist plözlich fremd und neu.

– All diese Kinder hören, wenn sie Pech haben, das gleiche: Du bist doch jetzt schon groß genug! Du musst damit klarkommen. Wenn nicht genau genug hingeschaut wird, werden willkürliche Grenzen festgelegt, wann wir erwarten, dass Kinder bestimmte Dinge doch bitteschön endlich können müssen. Und anstatt sie wieder zu begleiten, wird dann auf Konfrontationskurs gesetzt.

Klar! Das kennt man doch aus dem Fernsehen. Wer Angst hat vor Höhe, geht mit einem Therapeuten auf ein Hochhaus. Wer Angst hat vor Spinnen, bekommt eine Vogelspinne auf die Hand gesetzt. Das hilft!

Und schwupps werden fremdelnde Babys herumgereicht in der Annahme, dass ihre Angst vor dem Fremden dann schneller verschwände. Schwupps werden wütende Kinder geschimpft statt begleitet und in Empathie unterwiesen; man erwartet, dass sie die Situation überblicken und sich im Griff haben müssten. Schwupps werden ängstliche Kinder ausgelacht, nicht ernstgenommen, wieder in Situationen geschickt, in denen sie alleine sind, damit sie lernen, damit klarzukommen. Sie sind doch jetzt schon groß genug!

Schauen wir aber doch mal auf uns selbst, auf uns Erwachsene:

Alleine zu Hause, alleine im Dunklen unterwegs zum Auto, alleine auf einer Dienstreise im leeren Hotelbett – was wünschen wir uns. Wenn uns Angst überkommt, „Unheimlichkeit“, Fremde? Wenn uns Wut übermannt, Hilflosigkeit?

„Den anderen Menschen“, Nähe, jemanden der uns zu Hilfe kommt. Vielleicht würden wir sogar gerne laut sein, auf uns aufmerksam machen – sogar schreien.

Schaut mal genau hin! Wir sind wie unsere Kinder. Wir sind Menschen mit Gefühlen. Wir brauchen Bezugspersonen, einen sozialen Rahmen, Trost, Mitgefühl.

Was passiert, wenn wir das nicht haben? Wir haben Not, bekommen Panik, werden krank?! Und dabei sind wir schon groß, haben schon diverse Strategien gelernt, um mit Stress und Angst umzugehen. Trotzdem! Es steckt in uns drin.

Erst recht in den Kindern. Denkt dran in solchen Momenten. Sagt es Eurem Gegenüber, wenn behauptet wird, Eure Kinder müssen doch jetzt endlich mal alleine mit diesem und jenem klarkommen. Wenn willkürlich gefordert und Altersgrenzen festgelegt werden.  Wir sind alle verschieden. Lasst Euch auf die Kinder ein. Sie zeigen Euch, wann sie soweit sind.

IH

(Inspiration aus Rüdiger Posth, „Vom Urvertrauen zum Selbstvertrauen“ – Rüdiger Posth vertritt in seinem Buch m.E. an einigen Stellen die Meinung, die primäre Bezugsperson könne über einen längeren Zeitraum nur die Mutter sein. Diese Meinung vertrete ich ausdrücklich nicht.)

 

6 Gedanken zu „„Du bist doch jetzt schon groß genug! Du musst damit klarkommen.“

  1. Man kann das gar nicht genügend unterstreichen! Kinder brauchen niemals Druck von außen, um mit Furcht, Angst oder Wut umzugehen. Ihrem inneren Druck können sie ja bereits nicht standhalten, sonst würden sie nicht ängstlich oder auch wütend reagieren. Wenn ich mein Kind unter Druck setze, dann zuallererst so wenig wie möglich und nur dann, wenn ich ein schnelles und wertvolles Erfolgserlebnis für es wittere. "Versuch es doch mal! Ich fange Dich auf, wenn Du fällst!" - Der Lohn könnte Erfolg sein und ein bis in die Haarspitzen stolzes Kind, weil es etwas schwieriges mit Riesenmut bewältigt hat. Und im Fall des Scheiterns genießen wir gemeinsam, dass ich es auffangen kann und es tröste und lieb habe und genau so stolz wie vor dem Scheitern bin.
  2. Obwohl ich nicht ganz frei davon bin, das auch mal gesagt zu haben (ich war schlecht drauf und so weiter...habe mich später auch entschuldigt), waren meine beiden Schlüsselerlebnisse in diesen Momenten die Sätze: "Vertrau mir, ich fange dich auf." (als Johanna Angst vor einer großen Rutsche hatte) und "Ich bin da und halte dich...ich bin immer für dich da." (als Johanna sich super unwohl fühlte und ganz viel Körperkontakt haben wollte). Erstaunlich, wie ruhiger sie wurde. Ganz tolle Erfahrung auch für mich. Und natürlich Stolz, als sie dann (beim ersten Beispiel) rutschte. ❤
  3. "Er muss sich doch jetzt langsam mal abnabeln" wurde mir mal entgegnet als mein Sohn 18 Monate alt war und weinte als ich ging. Ihm ging es damit die ganze Zeit meiner Abwesenheit echt schlecht (das habe ich aber erst im Nachhinein erfahren) und dann kam mir dieser, ach so "empathische" Satz entgegen! Das nur zum Thema Ängste wahr- und ernstnehmen. Daraufhin habe ich längere Trennungen erst einmal vermieden und jetzt mit fast 3 kann ich auch mal länger wegbleiben ;) Danke für den Beitrag <3

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