03 Mai

Andrea Zschocher: „Nicht mehr klein und noch nicht groß“

Meine allererste Beratung als selbständige Familienbegleiterin fand bei einer Familie statt, in der sich alles um den 5-jährigen Sohn drehte, der mitten in der Wackelzahnpubertät steckte. Das werde ich nie vergessen, denn wir haben unheimlich gut zusammengearbeitet und tolle Ideen für den Alltag entwickelt, wie Eltern und Kind etwas besser durch diese Zeit voller Umstellungen kommen konnten (und das war für mich ein großartiger Start). Seither war das Thema immer wieder Inhalt in meinen Coachings, denn viele Eltern kommen hier in Situationen, die sie vorher noch nicht meistern mussten: Kinder, die groß und klein zugleich sind – zum ersten Mal in ihrem Leben stecken sie in einem richtig krassen Gegensatz, wie dann erst später in der echten Pubertät wieder. Und den Eltern geht es nicht besser, denn sie erleben ambivalente Gefühle, weil sie erstmal ganz stark spüren, wie Wurzeln und Flügel zwar wichtig sind, aber oft unvereinbar scheinen. Das Kind braucht Nähe UND Loslassen. Aber wie? Was wann? Und überhaupt: HILFE!!

Neuen Input rund um die Thematik mag ich daher sehr gerne und finde ihn wichtig. In dem Buch „Nicht mehr klein und noch nicht groß“ (edition Riedenburg Verlag) packt die Autorin Andrea Zschocher das Ganze für mich vollkommen neu an, denn dem grundlegenden Problem, dem diese Phase ihren Namen verdankt, wird neben den seelischen Veränderungen auch ganz viel Platz eingeräumt: die ersten Wackelzähne. Verlust, mein Körper, Veränderung…das ist ja alles nicht nur innerlich am Arbeiten, sondern eben auch ganz klar sichtbar im Mund der Kinder. Diese Herangehensweise ist für mich mal eine ganz andere und richtig spannend.

 

Alte und neue Zähne

Was passiert beim Zahnwechsel? Wie viele gibt es? Was bedeutet das fürs Seelenleben, aber auch ganz praktisch für die Zahnhygiene? Welche Auffälligkeiten gibt es, die man im Vorschulalter eventuell erstmals beim Zahnarzt diskutieren muss? Was für Unfälle und kleine-große Katstrophen sind rund um die bleibenden Zähne möglich und wie löst man die? Braucht man die Zahnfee?

Diesen und vielen weiteren Fragen wird auf den Grund gegangen, und diese Perspektive ist richtig gut aund alltagspraktisch, um unseren 5-, 6-jährigen liebevoll begegnen zu können.

Schrecklich und großartig

Den psychischen Wandel, den Kind und auch Eltern zu meistern haben, geht Andrea Zschocher im Anschluss nicht nur beziehungsorientiert an, sondern auch elternfreundlich und absolut ehrlich. Das ist eine großartige Mischung, denn der Leser kann richtig spüren, was die Kinder brauchen (auch unterschiedlich nach verschiedenen Temperamenten oder beispielsweise in Bezug auf eine veränderte eigene Körperwahrnehmung) und wie man es ihnen geben kann, ohne sich selbst zu vergessen – und er darf offen hören, dass das manchmal total schrecklich ist. Wackelzahnpubertät ist anstrengend!

Begleiten und zugewandt bleiben sind Herausforderungen! Und die können wir Eltern nicht immer mit einem Lächeln und einem Fingerschnipsen lösen. Darüber darf man reden und soll es auch. Das Buch ermuntert dazu und stellt auch selbst etliche Zitate vor, die zeigen, wie diese Phase in anderen Familien so aussieht.

Ich mag, wie ehrlich und familiär, aber eben auch fachlich die Autorin schreibt. Sie lässt nichts aus, zeigt auch die Verzweiflung, die Eltern haben können, aber betont andererseits, wie sehr sie beispielsweise schätzt, wie das Kind sich kognitiv entwickelt und was in diesem Bereich dank der Reifung nun alles möglich ist an neuen Gesprächen, anderen Verantwortungsbereichen fürs Kind oder auch neuen Wegen der (gemeinsamen) Entspannung usw. Das ganze Buch ist super zu lesen, auch wenn die Nerven gerade blank liegen sollten – und ich mag sehr die schönen Fotos, die das Werk nochmal ansprechender machen.

Edition Riedenburg Verlag

Das Buch kam übrigens in einem Päckchen, das der Verlag sehr liebevoll zusammengestellt hatte. Postkarten und Hinweise zu anderen Familienthemen und -büchern waren dabei, aber auch ein weiteres Buch: „Klar bin ich von hier! Was ein schwarzer Junge in Deutschland erlebt“ von Sabine Priess passt wunderbar zum Wackelzahnpubertäts-Ratgeber, denn ich finde, gerade in diesem Alter kann man gut starten und die Kinder für Themen wie Alltagsrassismus, aber auch Umweltpolitik, Kinderrechte o.ä. sensibilisieren.

Das Buch hat eine Altersempfehlung ab 8 Jahren, und sicher sind viele Wackelzahnpubertiere noch nicht so weit, aber manche eben doch. Probiert es mal aus. Wir hatten hier einen von dreien, der noch vor der Einschulung viele Fragen zur NS-Zeit und etlichen Inhalten in den Radionachrichten stellte. Und wenn Euer Nichtmehrkleinundnochnichtgroßer eher noch ein anderes Faible hat, kann das Buch ja warten. Irgendwann passt es sicher.

 

 

2 Gedanken zu „Andrea Zschocher: „Nicht mehr klein und noch nicht groß“

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