20 Jun

Ausgesondert und enttäuscht – dabei ist ein Miteinander ganz einfach!

„Er ist doch nur ein Kind!“

„Das vergisst sie doch eh ganz schnell wieder!“

„Ist egal – er ist ja noch so klein.“

„Das ist doch vollkommen unwichtig für sie.“

Kinder werden oft nicht für voll genommen, je kleiner, desto eher passiert das. Dabei können sie schon ganz viel spüren, sich merken und mitfühlen. Es kann ganz schön weh tun, wenn man als Elternteil erleben muss, dass sie übergangen werden, abgetan als „eh noch klein“. Rücksicht, Respekt, Hinschauen ist bei ihnen aber genauso angebracht wie bei Erwachsenen.

Wenn man noch keine Kinder hat, kann man sich das manchmal gar nicht so richtig vorstellen, wie gut sie auch früh schon spüren können, was los ist in ihrem Umfeld, wo ihnen Ungerechtigkeiten begegnen. Als junge Mutter mit meinem ersten Kind habe ich das zum ersten Mal so richtig verstanden, denn unsere Bindung war von Anfang an eng, mein Verständnis für ihn groß. Ich konnte ihn gut lesen, hörte ihm zu.

 

Übergangen und aussortiert

Was ist uns passiert?

Als unser erster Sohn erst wenige Wochen alt war, hatten wir gleich um die Ecke einen Eltern-Kind-Kurs gefunden. Die Kontakte dort waren nett und taten mir gut, für ihn gab es schöne Beschäftigungsideen in Form von Massagespielen, Gesang und mehr. (Damals noch nicht abzusehen fand er dort sogar seinen heute im Teeniealter immer noch besten Freund.) Der Kurs lief, bis alle Kinder etwa 2 waren. Dann kamen fast alle in außerfamiliäre Betreuung, so dass sich die gewohnte Gruppe auflöste. Zum Abschied bekamen alle Kinder unterschiedliche Plüschtiere, die um einen Tennisball herum genäht waren; unser Sohn bekam eine Ente – „Enti“, die von nun an überall mit hin und abends mit ins Bett musste.

Da ich bereits mein zweites Kind bekommen und das Gefühl hatte, er könne sich mit einigen der Kinder in einer Spielgruppe ohne Eltern 3 mal pro Woche wohl fühlen, versuchten auch wir eine Eingewöhnung, aber er war noch nicht so weit, und wir brachen dies ab. Dem Haus, in dem der erste Kurs stattgefunden hatte, blieb ich treu: wir buchten eine Gruppe für unseren Sohn mit etwas älteren, noch fremden Kindern und Elternbegleitung, sowie einen zweiten Kurs für unser neues Baby, zu dem ich ihn mitbringen durfte. Die Kursleiterin war die bisherige (die ihm „Enti geschenkt hatte) und kannte ihn ja schon; der großzügige Raum bot ausreichend Platz für ein „mobiles Besucherkind“, während die Babys noch an Ort und Stelle blieben und wir Eltern um sie herum in der Mitte saßen, sangen, Fingerspiele machten und uns unterhielten.

Unser Großer spielte mal still vor sich hin an einer der niedrigen Fensterbänke, half mal der Kursleiterin dabei, Sachen in den Raum zu tragen, lief auch mal hopsend durch den Saal – und manchmal kam er auch zu uns dazu und wollte wie wir mit den Babys agieren. Er war schon damals ein sehr vorsichtiges Kind und sprang nicht etwa zwischen den Säuglingen herum. Er setze sich zu mir und streichelte seine Babyschwester mit einer Feder, brachte sie zum Lachen o.ä. Aber natürlich war er immer noch erst 2 1/2 und dementsprechend auch mal laut oder ungestüm in seiner Art – nie jedoch im direkten Kontakt mit den Babys. Ich ging dann auf ihn ein, erklärte, bat um Kooperation, kümmerte mich mal mehr um ihn… es war hin und wieder anstrengend für mich, aber okay. Ich war froh über den Kontakt zu den anderen Eltern, froh über die Spielmöglichkeiten dort für beide, und wenn ich das Gefühl hatte, an einem Tag kam der Große dort gar nicht richtig an, ging ich eben früher, und wir machten etwas anderes.

An einem solchen Tag, als ich die Gruppe frühzeitig mit beiden Kindern verlassen hatte, beschwerte sich eine Mutter über uns. Es schaukelte sich hoch, die Kursleiterin war wohl überfordert mit dem Ganzen,und schließlich gipfelte alles darin, dass in unserer Abwesenheit eine Abstimmung darüber vorgenommen wurde, wer möchte, dass wir bleiben und wer möchte, dass wir gehen.

Die Mehrheit wollte, dass wir gehen!

Zu anstrengend, zu nervig, zu gefährlich für die Babys!

 

Erfahrungen mit Schmerzen

Zwei Frauen hatten für mich gesprochen, hatten gesehen, dass ich Anschluss brauche und mich bemühe, alle Wünsche und Bedürfnisse meiner Kinder und der Kursteilnehmer unter einen Hut zu bekommen. Sie wollten mir eine Hand reichen, mich unterstüzen, hatten Verständnis. Die anderen nicht. Sie sahen nur sich.

Die beiden informierten mich über das Geschehene, und ich war ehrlich fassungslos. Ohne Kinder suchte ich die Kursleiterin alleine auf und ließ mir alles „erklären“ (was nicht wirklich möglich war). Unser Gespräch war sehr emotional und geladen. Das in der Gruppe hinter meinem Rücken Gesprochene war nicht mehr rückgängig zu machen. Wir redeten lange, doch es blieb bei der Entscheidung der Gruppe. Ich „durfte“ alle Verträge umgehend kündigen und zog einen Schlussstrich unter die Verbindung zu diesem Haus. Mit den anderen aus der Gruppe wollte ich nicht mehr sprechen; es war zu irre. (Die beiden Fürsprecherinnen gingen auch.)

Aber die schwierigste Aufgabe kam erst noch: das alles meinem Sohn zu erklären. Er war nicht mehr zu klein, um sich zu wundern, was da los war! Er war nicht zu jung, um zu spüren, was ich fühlte. Er war sprachlich schon sehr weit, ließ mich alles so gut es mir eben möglich war – ich verstand es ja selbst kaum! – erklären und begriff es nicht.

Enttäuschung! Er hatte doch nichts falsch gemacht. Er war doch nur er selbst gewesen. Und mitgekommen zum Spielen. In einen großen Raum zum Spielen. Mit anderen Eltern und Kindern. Er wollte wieder dahin gehen! Und die Leiterin kannte er doch schon sein ganzes Leben lang. Sie hatte ihm „Enti“ geschenkt! Und ihn immer mit auf den Dachboden genommen, wo das Spielzeuglager war. Und überhaupt!!

Er war echt traurig und verletzt. Wie ich.

 

Elefantengedächtnis

Das Erlebte brannte sich bei ihm ein. Wenn wir an dem Gebäude vorbekamen, jemanden aus dem ersten Kurs trafen, ein Lied von dort sangen… immer fragte er, warum wir hatten gehen müssen oder wiederholte meine Erklärungsversuche: „Die fanden mich zu wild. Die hatten Angst um ihre Babys. Aber das stimmte gar nicht.“ Mit 3 Jahren, mit 4 Jahren, mit 5 Jahren. Es kam immer wieder mal hoch. Mit „Enti“ in der Hand.

„Enti“ liegt heute noch immer an seinem Bett. Und jedes Mal, wenn ich sie sehe, denke ich an diese Geschichte und an meinen trauigen Sohn, der übergangen wurde, dem keine Hand gereicht wurde. Nicht ein Versuch in diese Richtung wurde unternommen. Niemand hat gefragt, ob die Gruppe irgendwie hätte helfen können, dass es für sie passt und für mich.

Wir hatten Glück, weil wir damals mehrere Orte weiter eine Gruppe fanden, in die wir passten: altersgemischt von 6 Monate bis 3 1/2 Jahre. Mehrere kamen mit Geschwisterkindern, die noch nicht außerhäusig betreut wurden. Der Raum war auch nicht groß anders als der alte Gruppenraum – aber die Menschen waren es. Dafür fuhr ich gerne die nicht ganz kurze Strecke.

Und heute weiß ich längst, was Kinder alles spüren. Wenn zu mir auf der Arbeit eine Mutter mit Baby kommt, die das große Kind mal mitbringen möchte zum Kurs, weil der Kindergarten zu hat, das Kind gerade extrem eifersüchtig aufs kleinere ist oder unbedingt wissen will, wo das Baby morgens so hingeht, dann darf das große Kind immer mitkommen. Ich gestalte den Raum entsprechend, ich nehme es wahr und binde es ein. Weil ich weiß, wie es sich sonst fühlen könnte. Weil ich weiß, wie schwer die Situation für die Eltern vielleicht gerade ist.

Hinschauen, eine Hand reichen, solidarisch sein, Kinder einbinden, nicht übergehen – ist gar nicht so schwer.

IH