29 Jan

Deine Kinder sind also perfekt?

Wenn ich jemandem erzähle, dass ich als pädagogische Beraterin und Familienbegleiterin arbeite oder auch dass ich Elternkurse leite und Mitglied im Verein Bindungs(t)räume bin, kommt öfter mal die Aussage, dann müssten meine Kinder ja perfekt sein und immer brav – mit einem angeschlossenen Augenzwinkern und der Frage, ob ich sie nicht mal mitbringen und vorführen möchte, oder ob ich etwa Angst hätte, dass etwas schief laufen könne. Ja tatsächlich: so und ähnlich habe ich es oft gehört.

Dahinter steckt ein großes Missverständnis, das unbewusst in vielen Köpfen wohnt: man müsse nur die richtigen Verfahren kennen und anwenden, und dann würde alles wie am Schnürchen laufen. Dann würden gar alle nach der eigenen Pfeife tanzen. Margarinewebung. Friede Freude Eierkuchen. Keine Konflikte, kein Stress – keine sich wiedersetzenden Kinder.

Das klingt verrückt? Ja, unbedingt; aber es steckt hinter diesen Fragen. Der Wunsch nach einem Allheilmittel, die Vermutung, Experten für Kindheit und Pädagogik hätten „den Schlüssel“ in der Hand und man müsse ihnen nur lange genug zuhören, dann könne auch bei einem selbst zu Hause alles rundlaufen. Schließlich wird uns ja auch oft genug gesagt: „Sei doch einfach ein bisschen konsequenter, härter, klarer, achtsamer…dann passiert so eine peinliche Situation im Supermarkt, im Café, am Spielplatz, bei Oma…nicht mehr!“

 

So eine Fehldeutung!

Schon in der ersten Stunde Pädagogikunterricht machte unsere Lehrerin uns dies klar: „Was könnt Ihr tun, wenn ein Kind einem Erwachsenen zur Begrüßung nicht die Hand geben will?“ Wir überlegten und machten Vorschläge: bitten, erklären, drohen, bestrafen…da kam so einiges, aber sie schüttelte immer den Kopf: „Wenn das Kind nicht will, können wir als gute Pädagogen gar nichts tun!“ Das ist hängen geblieben. Wir können nur hinschauen, was der Grund ist, uns hinterfragen, ob das, was wir fordern, wirklich sein muss, und Inbeziehunggehen, um die Situation irgendwie zu lösen, ohne klar vorgegebenes Ziel.

Diese Szene ist mir sehr hängen geblieben, denn ich habe da (mit 17) auch erst verstanden, dass gute Pädagogik kein Machtmittel ist, kein Werkzeug, kein Garant für Funktionieren (vorher hatte ich darüber nie genauer nachgedacht). Sondern oft viel mehr Reflexion als Handeln. Und ich habe gefühlt, dass ich Manipulation auch gar nicht möchte – keine „Schwarze Pädagogik“ voller Gewalt, Beschämung, Schuldsuche und Erniedrigung. Ich möchte verstehen, einschätzen, Kindern helfen sich zu entwickeln – nicht sie verbiegen. Ich möchte auch Empathie fördern und Kompromissfindungen, also die Erwachsenen nicht vergessen. Im Studium habe ich ganz viel gelernt zur Entwicklung des Menschen: kognitiv, moralisch, emotional, in Beziehungen…Und eben keine Bedienungsanleitungen!

So arbeite ich jetzt mit Familien. Und so lebe ich mit meinen Kindern. Es war nie Ziel, dass sie immer tun, was ich sage, dass es nie Streit gibt und Probleme! Gibt es wirklich Menschen, die das realistisch betrachtet erwarten? Verrückt eigentlich. Aber manchmal klingt es so.

Pädagogik zum „richtig Funktionieren“ – so ein Quatsch!

Vielleicht können wir alle versuchen, diesen Irrtum noch mehr aus unseren und anderen Köpfen zu verdrängen. Ziel der Arbeit ist nur ein besseres Auskommen miteinander, ein besseres Einfühlen und Verstehen des anderen. Ziel ist Strategien zu finden, die individuell in den Familien helfen, im Alltag zu bestehen und die schönsten Seiten von sich zu entwickeln und zu zeigen. Ziel ist, gut miteinander auszukommen, auch bei Kontroversen. Ziel ist für mich vor allem, mich als Erwachsener zu reflektieren und zu verändern, zu engagieren, um den Kindern ihrerseits eine freudige Entwicklung zu ermöglichen.

Und wenn ich meine Kinder bei beruflichen Veranstaltungen dabei habe, dann leben wir einfach, gehen miteinander um, wie immer. Da ist kein Dompteur, kein Zirkuspferd, und niemand erwartet Applaus.

(Und natürlich sind meine Kinder perfekt. 😉 Ganz ohne mein Zutun.)

IH