27 Apr

Einen Tag ohne Streit und Stress!

Das wäre es oder? Wie oft höre ich das von Eltern – und kenne es auch selbst aus den Jahren, in denen meine Kinder noch kleiner waren: Bitte einmal nur Ruhe, keinen Stress, keinen Streit, kein Radau…einmal soll alles funktionieren. „Funktionieren“ – der Wunsch ist verständlich, aber am Begriff selbst merkt man schon, dass die Hoffnung in Bezug auf Menschen nicht klug ist.

Streiten gehört zum Menschsein dazu. Und ist im Grunde keine Last, sondern eine sinnvolle Notwendigkeit, um sich einig zu werden. Ja, gefühlt wäre es in unserem Kopf netter, wenn sich einig sein hieße „Alle machen, was ich sage!“. Nur ist das Problem: Das wäre auch für unsere Kinder die schönste Vorstellung. Und allein deshalb klappt es schon nicht!

Gerade unsere Kleinkinder können sich noch gar nicht gut mit uns einigen, denn ihr Denkvermögen gibt das schwerlich her. Besonders wenn sie sehr emotional gefordert sind oder auch eingeschränkt durch Müdigkeit geht da nicht viel. Können sie doch endlich – anders als als Baby – spüren „Ich will etwas!“, dann mögen sie das auch leben. Prallt dieser Wille dann aber auf unsere Bedürfnisse oder auf eine unpassende Realität, müssten sie eigentlich den Weg einer Alternative gehen. Ältere Kinder und Erwachsene schaffen das oft – mit Streit oder auch ohne. Aber Kleinkinder können das schlecht!

Ihr Kopf kann nicht denken, dass neben dem eigenen Weg noch andere möglich sind! Es ist als hätten sie Scheuklappen, wie ein Pferd, sähen nur ihren Pfad, aber keine Abzweigungen links und rechts. Diese Scheuklappen verschwinden erst mit der Zeit, wenn ihr Denk- und Einfühlungsvermögen reifen.

Als Kleinkinder jedoch müssen sie diesen Widerspruch ertragen. Ständig!

Was brauchen die kleinen Kinder von uns?

Die Entwicklungsaufgabe in dieser Zeit lässt sich fassen mit „umplanen und warten lernen“. Und fassen wir uns hier mal an unsere eigene Nase:

  1. Wie gut können wir das immer? – Selbst als Erwachsene haben wir hier noch immer wieder Hürden. Wie soll es ein kleines Kind dann können?!
  2. Wie rasch erwarten wir, dass unsere Kinder das können? – Sehr rasch. Oft am liebsten so mit 3 Jahren vielleicht…weil wir dann doch schon echt viel getan haben, uns lange zurückgestellt haben… Doch es bleibt Entwicklungsaufgabe für mehrere Jahre!
  3. Wie schnell lernen wir etwas Neues? – Oh, das dauert oft. Wir müssen üben, üben, üben, Fehler machen, aus diesen Fehlern lernen…und dabei haben wir schon lange alle geistigen Fähigkeiten, um das eigentlich zu können. Unsere Kinder aber nicht!
  4. Wie bewältigen wir unangenehme Momente am besten?Mit Unterstützung und Verständnis. Geht beispielsweise im Bereich unseres Jobs etwas schief, freuen wir uns doch, wenn ein*e Kolleg*in dabei hilft, alles wieder gerade zu biegen und unser*e Vorgesetzte*r uns mit Einfühlungsvermögen begegnet anstatt uns abzukanzeln. Und wir telefonieren abends vielleicht mit einer/m Freund*in, um unsere Gedanken zu teilen, Trost zu bekommen, zu hören, dass andere die Probleme auch kennen und vielleicht zu erfahren, wie sie damit umgehen. Auch das brauchen unsere Kinder: Bewältigungshilfe. Nähe. Und Muster, Modelle. Nicht nur eine kurze Ansage, nicht nur sprachliche Erklärungen.

Wenn wir uns diese Fragen ehrlich beantworten, müssen wir einsehen, dass unsere Kinder lange brauchen dürfen, um bewusste Kooperation, gewollte Kompromissfindung hinzubekommen. Wenn kleine Kinder unsere Bedürfnisse nicht zu beachten scheinen, ist das eben in der Regel keine böse Absicht!

Das müssten wir Erwachsenen viel mehr sehen. Stattdessen wird den Kindern all zu oft unterstellt, garstig und niederträchtig, undankbar und „unerzogen“ zu sein.

„Es braucht Verständnis, Liebe und Zeit. Denn Entwicklung geschieht nicht über Nacht.“

(Inke Hummel, „Mein wunderbares schüchternes Kind“)

Unsere Aufgabe als Eltern und Pädagog*innen ist die Begleitung: zugewandte Nähe, liebevolle Hilfe, ehrliches Verständnis – und gute Selbstfürsorge, damit wir das leisten können.

Zurück zum Streit

Das Streiten gehört aufgrund dieser Voraussetzungen im Denken von Kleinkindern zum Alltag mit ihnen dazu. Natürlich entsteht da erstmal ein Konflikt: Wir prallen mit unseren Plänen aufeinander und müssen irgendwie lösen.

Das heißt, oft ist Streit guter Streit! Jeder legt auf den Tisch, was ist und man sucht Lösungen. Bei Kleinkindern ist das eben einfach noch viel viel schwieriger als bei größeren, aber wenn du das zugewandt angehst, anstatt kühl zu sagen: „Deine Pläne sind mir egal. Ich bestimme!“ wird dein Kind es lernen. Schritt für Schritt. Auch mal zwei Schritte rückwärts. Dann wieder vorwärts.

Der entscheidende Punkt ist, dass beim Streiten die Kommunikation stimmt – dass es ein Miteinander ist und wir uns umeinander bemühen. Dann fühlt Streit sich immer noch oft lästig an, aber bleibt richtig und sinnvoll. Und dein reifendes Kind wird immer nützlicher mitstreiten können.