15 Sep

Brauche ich einen Babykurs?

Wenn über Babykurse gesprochen wird – Massage, Schwimmen, PEKiP, Einfach Eltern, Kanga, DELFI, Krabbelgruppe, Babysignal, was auch immer der Markt so hergibt – dann hört man meist zwei Meinungen: 1) das war ganz großartig, die Kontakte habe ich heute noch, oder 2) das war fürchterlich, nur Wettkampf, da bin ich schreiend rausgerannt. Beides in verschiedenen Abstufungen. Schwangere und frisch gebackene Neumütter, die meist diejenigen sind, die mit den Babys erstmal zu Hause sind und überlegen, ob sie einen Kurs besuchen sollen oder nicht, und im Privaten oder in Foren herumfragen, bekommen diese Berichte zu hören und wissen immer noch nicht weiter. Ich möchte das Thema anders angehen.

Ich gebe selbst Kurse, und man könnte meinen, dass ich deshalb natürlich versuche, jedem zu sagen, er möge bitte sein Geld dorthin tragen. Aber so sehe ich das wirklich nicht. Ich bin selbst Mutter von drei Kindern und kann es von beiden Seiten beurteilen.

Die ersten drei Monate

Wenn Ihr über die Teilnahme an einem Kurs nachdenkt, gönnt Euch ganz in Ruhe die Zeit im Wochenbett. Die habt nicht nur ihr nötig, sondern auch Euer Baby. Die ersten 2 bis 3 Lebensmonate Eures Kindes nennt man auch „erweiterte Neugeborenenzeit“, denn es kommt immer noch an auf dieser Welt. Sanfte Übergänge vom Schlafen zum Wachen, vom Lauten zum Leisen, vom Schnellen zum Langsam, sind Eurem Baby noch zu viel und können nicht gut geschafft werden; eine Gruppe aus vielen Teilnehmern, Stimmen und Eindrücken, mit Angeboten, Reizen und Input jedweder Art ist jetzt eher noch Stress als Spaß, auch wenn Euch zu Hause vielleicht langsam langweilig wird. Wenn eh ein wilder Alltag da ist aus schon vorhandenen Geschwistern, Terminen, Autofahrten, Besucherkindern…reicht das vermutlich allemal und ein eher späterer Kursstart ist ratsam, weil Euer Kind – je nach Temperament natürlich – eventuell froh sein wird über das bisschen Ruhe am Morgen, wenn die Großen außer Haus sind. – Aber Dir ist nach anderen Gesichtern, Gesprächspartnern, Abwechslung? Vielleicht lässt sich erstmal privat etwas finden mit nur 2, 3 Müttern und Kindern?

Und wenn Ihr Euch doch in diesem Alter schon für einen Kurs entschieden habt, mag es mit manchen Babys gut funktionieren – mit manchen aber nicht oder nicht immer. Dann stellt Euch einfach darauf ein und trauert nicht um Kursgebühren, sondern kalkuliert mit ein, dass auch mal eine Stunde nicht wahrgenommen werden kann nach einer heftigen Nacht oder an einem Tag, an dem Euer Kind Euch zeigt, dass ihm nach etwas anderem ist als inem festen Termin und einer Gruppe Menschen.

 

Das Wonnealter – 4.-6. Monat

Das Alter von 4 bis 6 Monaten nennt man das „Wonnealter“ – ein wunderschöner Begriff! In der Regel werden die Kinder neugieriger, munterer, die Aufmerksamkeitsspanne wird länger. Die schon immer so spannende menschliche Stimme lockt die Kinder langsam zum Austausch, und sie versuchen erste „Gespräche“. Ihr verbessertes Sehvermögen ermöglicht vermehrtes Schauen und Erkunden, das stärkere Kopfhaltenkönnen lässt sie Bewegungen verfolgen und mehr im Raum sehen. Erste rhythmische Spiele sind möglich und wecken Erwartungen bei den Kindern; durch Wiederholungen graben sie sich in die Köpfchen ein, schaffen Wohlfühlmomene, die sie gerne wieder und wieder erleben mögen. In einem Kreislauf aus Wahrnehmung, Motorik und Kognition schreitet ihre Entwicklung langsam voran; wenn man sich Zeit lässt, ihnen zuschaut und Raum gibt, Möglichkeiten bietet, passiert ganz viel, erlebt man jede Menge schöne, faszinierende Momente.

Das kann man zu Hause tun – aber auch wunderbar in einer Gruppe. Es ist absolut verständlich, wenn man als Elternteil den Wunsch hat, sich live auszutauschen über das, was man mit dem Kind erlebt, über Fragen, die sich stellen, über Sorgen, über Hebammen- oder Ärztetipps, über Kinderkleiderläden, Trageberatungen oder Familiencafés und und und.

Jetzt ist ein guter Zeitpunkt, sich eine Gruppe zu suchen und auszuprobieren, ob

  • man selbst ein Gruppentyp ist
  • das Kind mit einer Gruppenstruktur schon klarkommt
  • oder ob man sich evtl. anderweitig Kontakte organisieren kann

Die richtige Gruppe

Ich empfehle, sich eine Gruppe zu suchen, die terminlich so liegt, dass sie jetzt in etwa zum Rhythmus des Kindes passt. Dieser ändert sich allerdings noch sehr oft; nun schon mit Überlegungen bzgl. etwaigen Mittagess- oder Schlafenszeiten im nächsten halben Jahr da heranzugehen, ist nicht besonders hilfreich. Das Kind kann auch im Kurs essen oder schlafen; man nimmt trotzdem etwas mit aus der gemeinsamen Zeit!

Des Weiteren sollte man immer einen Kurs buchen, bei dem man sich erstmal nur für etwa 10 Stunden verpflichtet und nicht längerfristig bindet. Kind und Elternteil können dann in Ruhe schauen, ob Inhalte, Leitung, andere Teilnehmer, Räumlichkeiten usw. gut passen und ggf. nochmal wechseln.

Meiner Meinung ist es gar nicht so wichtig, was genau ich auswähle – ob die Zeit schön wird, steht und fällt vor allem mit der Gruppenleitung,

  • die ein Händchen dafür haben sollte, dass die Atmosphäre angenehm ist, auch wenn es zu Diskussionen kommt,
  • die nicht übergriffig auf Eltern oder Kinder zugeht
  • und die eventuell auch ein Gespür dafür hat, wenn die Eltern besondere Emotionen mitbringen, denn die sind in der ersten Babyzeit nicht selten und brauchen manchmal dringend einen Ort.

 

Mit jedem Baby hat man nur dieses eine Babyjahr und kann es nicht wiederholen – diese Zeit sollte besonders sein. Darum kann man ruhig ein bisschen investieren, um die richtige Gruppe zu finden. Empfehungen sind hilfreich, Internetrecherchen mittels Suchbegriffen natürlich, unsere Angebotsseite mit Kursen von Vereinsmitgliedern, die explizit bindungsorientierte Angebote bieten, ist eine weitere Möglichkeit – und wenn Ihr bei Euch vor Ort jemanden in die engere Wahl genomen habt, scheut Euch nicht im Vorgespräch Fragen zu stellen, die Euch wichtig sind. Beispielsweise könnte dies sein, wie im Kurs damit umgegangen wird, wenn ein Baby Anpassungsschwierigkeiten an die Situation hat, wie es gehandhabt wird, wenn eine Mutter bei Spielangeboten nicht mitmachen möchte oder auch welche Lektüre Euch die Kursleitung zum Thema Schlafen empfehlen würde. An solchen Punkten könnt Ihr schon ganz gut die passende Chemie spüren – oder nicht.

Ohne Gruppe

Wenn Ihr Euch für eine Zeit ohne Gruppe entscheiden solltet, aber trotzdem Lust auf relativ feste Termine zum Treffen und Austausch mit anderen habt, Euch aber Kontakte zu Eltern mit gleichaltrigen Kindern fehlen, kann ich empfehlen, beispielsweise Facebookgruppen zu suchen, die sich stadtbezogen mit Attachment Parenting befassen. Dort ergeben sich rasch Kontakte und Verabredungen. Alternativen können auch Stillcafés oder ähnliche offene Familientreffen sein, aus denen heraus man dann privat etwas organisiert. Viele sind auf der Suche nach dem gleichen wie ihr, fühlen sich auch mal einsam, suchen Anschluss, ein Netz, Ideen. Wer suchet, der findet.

Später einsteigen

Auch das ist möglich – ein Kurseinstieg mit einem Kind, das schon 9 oder 11 Monate alt ist beispielsweise. Ich habe das bei mir häufiger. Die Eltern wollten erstmal so richtig ankommen im Leben mit ihrem Baby oder haben Kontakte ohne Gruppe gesucht, und diese Eltern schließen sich dann zusammen und buchen einen Kurs. Für die Kinder ist das meiner Einschätzung nach stets ein Gewinn. Dann kann man viel besser eine Zeit auswählen, die zu ihrem gefundenen Rhythmus passt und auch schon ein bisschen mehr drauf schauen, ob sie eher Spaß an Singen, Wasser oder Bewegung haben, denn das zeigt sich da oft schon langsam.

Fazit

Die Babyzeit ist in vielerlei Hinsicht eine intensive. Emotionale Achterbahnfahrten, wenig Schlaf, etliche erste Male, neu definierte Rollen in der Partnerschaft und für sich selbst, Suchen und Finden großer Entscheidungen, Verantwortungsdruck… Das alles lässt sich besser gemeinsam tragen mit Menschen, die gerade ähnliches erleben. Diese in einem guten Kurs zu finden, kann eine tolle Möglichkeit sein, denn manche dieser Kontakte halten lange – dann kommen wieder und wieder gleiche Erfahrungen: Autonomiephase, Trockenwerden, Einschulung, Hormone…

Ich selbst habe bei jedem Kind in einem Kurs Freunde gefunden, die heute noch in meinem Leben sind. Eines meiner Kinder ist, nach 12 Jahren, noch mit einem Kind aus seinem ersten Krabbelkurs eng befreundet. Eine Bekannte hat mit über 40 noch eine beste Freundin, die einer Babygruppe entstammt. – Alles Zufall, Glück? Bestimmt ein bisschen, aber vielleicht auch eine gute Auswahl des Settings.

So oder so: habt eine gute Zeit!

IH