Dein Trennungskind – braucht Dich!

Ich bin’s: das Trennungskind.
Eine Tatsache in meinem Leben, die ich schon mehrfach als abgehakt betrachtet hatte. „Jetzt bin ich durch damit. Jetzt macht das nichts mehr mit mir.“ Und dann holt es mich doch wieder ein. – Dies wird sicher einer meiner persönlichsten Texte.
Ich werde jetzt 40. Die Trennung meiner Eltern liegt über 30 Jahre zurück. Viele Momente aus dieser ersten Zeit sind in mein Gedächtnis eingebrannt, während vieles andere verschwunden zu sein scheint, und haben mein schüchternes, stilles Kinderwesen mitbestimmt. Als ich in der Oberstufe in einer Klausur einen wissenschaftlichen Text zum Thema Scheidungskinder bearbeiten musste, konnte ich das kaum, weil ich mich immer gefragt habe: „Bin ich auch so?“
Dabei habe ich vom Kopf her, als ich volljährig war und meine Mutter mir endlich nach und nach erzählen mochte, was sie bewogen hatte, aus ihrer Ehe zu gehen, alles gut verstehen können und finde jeden Schritt richtig, mutig, wichtig. Das ist es nicht – die Trennung an sich arbeitet nicht in mir.
Aber der Bindungsträumer in mir schreit! Und der will Euch berichten, erinnern, um etwas bitten. Mein Wunsch lautet: Egal, was Euch zustößt, was zwischen Euch Partnern geschieht, wie hässlich und heftig die Liebe zu Ende gehen mag… versucht, nicht die Verbindung zu Euren Kindern zu verlieren!
Eure Geschichte, Euer Werdegang darf keine Ausrede dafür sein, dass das nicht gelingt. Holt Euch Hilfe, wenn Ihr das nicht könnt. Lasst die Kinder nicht die Leidtragenden sein.
Was ist mir geschehen?
Ich fand es entsetzlich, als ich nach der von den Eltern beschlossenen Trennung von meinem Vater gefragt wurde, ob ich ihn noch liebe. Als 10-jähriges Kind.
Es schmerzte mich fürchterlich, dass jahrelang kein einziger Brief, den ich mit viel Liebe geschrieben, mit Stickern und Stiften verziert hatte, jemals beantwortet wurde und auf Nachfrage die Erklärung kam: „Ich schreibe eben nicht gerne.“ Es wäre so wichtig gewesen für mich als Kind, für mich als Teenie, der sich Zeit genommen und versucht hatte, sich zu öffnen, in Kontakt zu bleiben. Über viele, viele Kilometer hinweg.
Es war so traurig, dass der Papa nie eine Frage stellte zu meinem Leben, meinen Freunden, meinen Hobbys, weil ich beim Antworten irgendwo die Mama hätte erwähnen können. Stattdessen herrschte Stille, fast immer. Ich wurde älter, aber blieb immer das Kind für ihn. Er kannte mich nicht, wusste nichts mehr von mir; und ich schwieg.
Diese ewige Stille in dem kahlen „Kinderzimmer“, wenn ich dort war. In dem Wohnzimmer – ich im Sessel, er auf dem Sofa. In seinem Auto, wir nebeneinander. Aber immer Stille. Obwohl ich über 600 km gefahren war, fast in allen Ferien. Qualvolles Fremdsein und immer Fremderwerden. Erst auf der Rückreise allein im Zug platzte alles aus mir heraus; Tränen, Schluchzen, Hilflosigkeit. Aufatmen erst südlich der Elbe, fast zwei Stunden nach der Abfahrt. Immer das selbe Elend.
Es war frustrierend, dass all die Jahre Geburtstage immer mal wieder pünktlich, mal verspätet bedacht wurden, dass er nicht zu meiner Abiturfeier kam, nicht zum Abiball, dass er mich erst nach sechs Semestern fragte, was ich eigentlich studierte.
Ja, es gab Erklärungen von anderen – und in meinem Kopf zurechtgelegte; und doch war er der Erwachsene, der sich um sich und mich hätte kümmern sollen, sich Hilfe hätte suchen sollen, damit es hätte gelingen können mit der Elten-Kind-Bindung! Es liegt in der Hand und der Verantwortung der Eltern, dass die Beziehung Boden hat.
Jetzt bin ich damit durch!??
Als er schließlich nicht zu meiner Hochzeit kommen mochte, weil meine Mutter auch da war – fast 20 Jahre nach der Trennung – war ein Punkt erreicht, als ein Schalter in mir umspringen konnte. Zum ersten Mal gab es den Gedanken „Jetzt macht das nichts mehr mit mir!“ Aber ganz richtig war es natürlich nicht.
Doch ich hatte den Eindruck, ich hatte endlich die Oberhand. Kognition über Emotion. Gefühle aus, Kopf an! Dann eben nicht. Nur noch das Nötigste! Ich bleibe nett, aber ich mache mich nicht mehr krumm, investiere kein Gefühl mehr – sonst gehe ich kaputt!
Geburten meiner Kinder, Taufen, Geburtstage, Einschulungen, Fotos – kein Aufwand mehr meinerseits. Mal, wenn es mir passte, ein Briefchen, aber keine Einladungen mehr. Manchmal kam etwas von ihm: eine Karte, ein Salz- und Pfefferstreuer-Set (!) zur Geburt eines der Kinder, oder ein plötzliches Auftauchen am Fußballplatz und in der Folge verwunderte Kinder: „Wer ist der Mann mit dem Haribo?“
Autsch!
Ja, da hat’s dann doch wieder wehgetan. Immer wieder.
Krank und hilflos in der Klinik hier vor Ort habe ich ein wenig getan, was ein Kind tun kann, aber viel war mir nicht möglich.
Über die Jahre und die wenigen 2-Minuten-Telefonate, in denen ihm die Fragen an mich und mein Leben fehlten, vernarbte alles. Die Verbindung verschwand. Alles, was ich immer versucht hatte, war niemals auf fruchtbaren Boden gefallen vor lauter Wut bei ihm auf seine Ex-Partnerin.
Vergeben habe ich – das fragen viele. Ich bin nicht sauer. Vergebung ist so wichtig. Sie macht gelassen und gesund und frei. Aber traurig bin ich. Und wünsche es anderen Kindern anders.
Keine Verbindung mehr – das Schlimmste, was passieren kann
Denn jetzt sitze ich hier, den Anruf im Ohr, vor dem man sich immer fürchtet, und weine. Nicht vor Trauer über einen wahrscheinlich sehr bald bevorstehenden Abschied.
Sondern vor Verzweiflung, weil es nicht in meiner Hand lag, dass ich hier und heute keine Verbindung mehr spüre.
Bitte: sollte kein Weg an einer Trennung vorbeigehen, versucht die Verbindung zu Euren Kindern nicht zu verlieren.
Die Trennung mag oft das Richtige sein für die Großen; ein anderer Weg ist häufig nicht mehr gangbar. Aber mit den Kindern hat das nichts zu tun! Selbst wenn sie aus Trotz, aus Unsicherheit, aus irgendwelcher Not heraus von sich aus – anders als ich – eine Zeit lang den Kontakt abbrechen sollten, ihn vermeiden oder auch nur erschweren, bleibt Ihr doch die Erwachsenen und diejenigen, die helfen können, die Beziehung wieder zu kitten, Zeit und Liebe zu investieren, Bedürfnisse zu erkennen – und alles andere, was gebraucht wird. Vergesst Stolz, Verletztheit, alles was nur mit dem Ex-Partner zu tun hat.
Die Kinder können nichts für Eure Schmerzen! Sie brauchen Euch.
IH
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