05 Apr

Trennung und Trauer

Wenn es in unserem Umfeld einen Todesfall gibt, sind wir Eltern heute meist sensibler als es die Erwachsenen in unserer eigenen Kindheit gewesen sind. Da wurde nicht groß überlegt: Das Kind kam mit zum Friedhof oder auch nicht, wenn das eher als zu anstrengend empfunden wurde und es eine andere Betreuungsmöglichkeit gab. Heute schauen zahlreiche Eltern nicht einfach nur pragmatisch hin, sondern vielfach mitfühlend und kindorientiert. Manchmal suchen sie dann sogar meine Beratung auf und wir schauen dann:

  • Wer ist gestorben? War es eine enge Bezugsperson? Gar ein gleichaltriges Kind?
  • War der Tod besonders beängstigend? Fürchtet das Kind weitere Verluste in dieser Art?
  • Wie geht es dem Kind? Was möchte es selbst?
  • Kirche, Friedhof…wie wird da alles ablaufen? Was ist, wenn der Sarg offen ist? Wie verkraftet das Kind das Erdloch am Ende?
  • Was braucht es im Nachhinein, um mit dem Verlust zurechtzukommen?
  • Gibt es gute Bücher?
  • Kann ich als Elternteil das gut begleiten (am Tag der Beerdigung und im weiteren Verlauf) oder bin ich selbst zu angegriffen?

Und vieles mehr.

Nicht nur Tod ist Trennung und braucht Trauerzeit

Das ist ein toller Fortschritt. Und viele Eltern übertragen diesen Blick auch auf andere Trennungsmomente:

  • Der Freund oder die Freundin verlassen den Kindergarten.
  • Die Mama oder der Papa müssen immer wieder auf längere Dienstreisen oder zu einem Krankenhausaufenthalt.
  • Die Familie zieht um und verlässt die bekannte Umgebung.
  • Die sympatische Lehrkraft verlässt die Schule.
  • Die Kinderärztin oder der Kinderarzt wechseln.
  • Es gab eine Fehlgeburt.

Viele Situationen brauchen Abschied, Trauer und Bewältigung. Wir können unsere Kinder nicht davor schützen und sollten es auch nicht. Abver wir sollten an ihrer Seite stehen und schon ab dem ersten Geschehnis dieser Art einen guten Umgang damit vorleben. Verschweigen und beiseite schieben sind alles andere als klug. Auch unsere eigene Trauer zu verstecken ist nicht gut. Kinder spüren, wenn wir uns verstellen, und das verunsichert sie.

Gemeinsam bewusst die Trauer anzugehen ist wertvoll, denn…

  • …Kinder bis ins Grundschulalter hinein können sich noch nicht gut von den Gefühlen um sich herum abgrenzen. Ist da Traurigkeit, sind da Ängste oder Wut bei den Eltern und im weiteren Umfeld, beziehen sie das schnell auf sich und brauchen unbedingt Begleitung beim Begreifen, Sortieren und Benennen der Emotionen.
  • …trauern muss man lernen dürfen. Was kommen da für Gefühle? Wie lange spüren wir sie? Wie kann man mit ihnen umgehen?
  • …denn derlei Situationen werden immer wieder kommen: der erste Liebeskummer, Verlust von Freundschaften, vielleicht mal eine Kündigung u.ä.
  • …Kinder fühlen sich gesehen, ernstgenommen und gut begleitet, wenn Eltern Trauer mit ihnen zusammen angehen.
  • …Kinder erleben dabei Bewältigungskraft und -strategien im Miteinander.

Das andere Feld: Elterntrennung

Doch im Bereich der Elterntrennungen fehlt mir die Bedeutung des Trauerthemas noch zu sehr. Auch hier sind viele Eltern zwar zum Glück sehr bewusster und kindorientierter unterwegs als vor 20, 30 Jahren und kommen zum Beispiel zu mir in die Beratung um zu klären: Wie sagen wir es dem Kind? Wann am besten? Und was genau? Wie können wir den Alltag gut gestalten? Wie können beide Elternteile gute Bezugspersonen bleiben? Und und und. Aber die Frage nach der Verarbeitung der Trauer kommt fast nie.

Es ist verständlich und schwer zu ändern, dass Eltern in Trennung beide emotional besonders stark gefordert sind und mit eigenen Ängsten und Themen zu kämpfen haben, so dass nicht viel Raum für ihr Kind bleibt. Bei einem Todesfall ist oft nur ein Elternteil stark von der Trauer betroffen, so dass der oder die andere das Kind auffangen kann. Aber beenden Eltern ihre Partnerschaft, müssen sie sich sortieren, Wunden lecken, den neuen Alltag schaukeln, sich neu positionieren und vor allem auch die eigenen Gefühle verarbeiten: Wut, Trauer, gekränkter Stolz… Da kann so einiges zu tun sein.

Es ist toll, wenn sie dann trotzdem versuchen, so gut wie möglich ans Kind zu denken und am besten sogar miteinander auszukommen, da die Verbundenheit als Eltern ja bleibt. Doch ich denke, es fehlt sehr oft der Raum zum Trauern und Verarbeiten. Kinder wünschen sich häufig, „dass alles wieder so wird wie früher“. Kästners „Das doppelte Lottchen“ war für mich als Trennungskind der Stoff meiner Träume. Ausgesprochen habe ich es nicht. Ich habe mich angepasst. Andere Kinder, die offen fordern, dass die Eltern wieder zusammenkommen sollen, werden sicher oft ausgebremst (was kein Vorwurf ist, denn – nochmal – auch für die Erwachsenen ist solch eine Phase hart und es sind nicht alle Ressourcen da, die gebräucht würden). „Davon will ich nichts hören!“ kann eine Reaktion sein, genauso wie ein „Ich weiß, dass du das fühlst. Das verstehe ich gut. Aber aus dem und dem Grund ist das nicht mehr möglich.“ Distanz oder Mitgefühl. Letzteres ist natürlich schon mal schöner, doch Trauer und Verarbeitungshilfe fehlen immer noch.

Manchmal wird dann ein Hund gekauft oder ein tolles neues Hochbett – das ist wie ein Pflaster auf einer Wunde, die nicht gesäubert wurde. Das ist zu wenig!

Was braucht das trauernde Kind?

Egal wie strittig das Familienleben vorher gewesen sein mag: Zumeist erleben die Kinder eine Elterntrennung als Verlust. Eine Person geht irgendwie, auch bei einem 50:50-Wechselmodell wird Sicherheit verloren, das Umfeld ändert sich, oft auch die finanziellen Möglichkeiten, die zeitlichen Freiräume, die Tagesstrukturen, der Freundeskreis. Und manchmal erfahren die Kinder auch eine Art Stigmatsierung unter den Gleichaltrigen. Viel Leidendsdruck ist möglich. Da ist die Reaktion „Ich will, dass alles wieder so wird wie früher.“ die erstbeste, erscheint ihnen am einfachsten. Zurück zu dem, was sich fürs Kind ganz gut angefühlt hat. Was es kannte.

Das muss es sagen dürfen. Und es muss von uns und mit uns Eltern lernen, mit den Gefühlen umzugehen, die entstehen, wenn immer bewusster wird, dass das nicht geht. Begreifen. Bewältigen! Trauerprozess.

Ich würde mir wünschen, dass Eltern oder andere gute Bezugspersonen wie Großeltern, Freund*innen der Familie, Vertrauenslehrer*innen o.ä. sich dieses Themas bewusst annehmen und nicht auf „laute“ Reaktionen der Trennungskinder wie Aggressionen oder Schulverweigerung warten.

  • Fragt die Kinder, was sie fühlen, und wischt es nicht weg.
  • Seid dabei selbst offen und ehrlich.
  • Überlegt mit ihnen, wie sie weinen, schreien, wünschen, Abschied nehmen können.
  • Manchmal helfen kreative Methoden ganz ruhigen oder auch ganz wilden Kindern dabei, alles rauslassen zu können.
  • Bedenkt dabei, dass die Traurigkeit manchmal erst zeitversetzt nach außen kommt, manchmal in Wellen, manchmal fast gar nicht sichtbar ist.
  • Denkt auch daran, dass Wut und Aggressivität oft einfach nur Trauer sein können.

Und manchmal kann es auch sinnvoll sein, dass eine externe Fachkraft beim Trauern hilft. Es gibt Selbsthilfegruppen, aber auch Trauerbegleitungen für Kinder – meist für Todesfälle, aber warum soll man nicht auch zu diesem Thema anfragen?! Und teilweise ist auch ein psychotherapeutischer Beistand das Richtige. Anfragen und Ausprobieren ist keine Gefahr. Traut euch ran an die Trauer!

Ich selbst war verunsichert von der Elterntrennung, hab nachbetrauert als ich älter war. Auch das war okay. Aber wenn es möglich ist, eurem Kind früher diese Begleitung zu geben, solltet Ihr das tun.

IH