Ich schäme mich so!
Eine liebe Freundin hat mir einen verzweifelten Hilferuf gesandt. Sie fühlt sich überfordert mit der neuen Situation als Mama von einem Baby und einem Kleinkind; sie weiß vom Kopf her ganz genau, wie sie mit ihrer großen Tochter umgehen möchte, aber es misslingt ihr manchmal. Sie ist immer wieder nicht die Mama, die sie sein möchte.
Schließlich fühlt sie sich richtig traurig, denn an einem Punkt der Hilflosigkeit, hat sie ihr Kind weggeschickt, lautstark. Vom Kopf her war es eine Auszeit – etwas, was sie nie machen wollte. Obwohl sie eigentlich doch die ganze Zeit dabei war und die Auszeit gar nicht stattgefunden hat, hat sie ihre Tochter doch irgendwie kurz weggeschoben, hatte die Verbindung verloren, war wild und laut und angsteinflößend. Im Nachhinein eine schlimme Schuld!
Richtig war sicher, dass sie in diesem Moment ihre Hilflosigkeit und Wut umgelenkt hat in Lautstärke und nichts anderes. Im Nachhinein sagt sie selbst, es war eigentlich eine Auszeit, die sie sich verordnet hat. Ihr Kind hätte sie sowieso nicht alleine ins Kinderzimmer schicken können. Doch das Schreien und Ankündigen waren schon genug Spaltung zwischen ihnen. Sie hätte einfach schon vorm Lautwerden aus der Situation gehen sollen. Durchatmen, runterkommen, neustarten. Aber es ist anders gelaufen. Nicht gut. Ihre Tochter hatte einen sehr schweren Moment!
Was passiert nun? Die Mutter hinterfragt sich, sie fühlt sich elend, sie möchte alles dafür tun, dass sie nicht mehr an diesen Punkt kommt. Und ich finde, das ist es hier, was zählt. Es ist gut, wenn wir das früher kommen sehen, früher Stopp rufen und Hilfe holen können. Aber wenn wir einmal unseren Rücken zugedreht haben, einmal gebrüllt haben, einmal gedroht haben, und sofort spüren, was da passiert ist, unser Herz uns sofort sagt, wie verkehrt das war, unser Gehirn sofort zu arbeiten beginnt, um das ja nicht zu wiederholen, und wenn wir sofort wieder in Beziehung gehen, um darüber zu sprechen, es zu klären und es für immer aus der Welt zu schaffen, dann sind wir eigentlich auf einem guten Weg. 100 % und immer Perfektion – das geht einfach nicht. Ein Davonschicken, ein ohrenbetäubendes Kleinbrüllen sollten ein No Go sein, genauso selbstverständlich wie eine Ohrfeige – aber bevor ich meine Sinne verliere, weil ich zu spät erkannt habe, dass ich hilflos bin, ist das einmalige, beängstigende Lautwerden vermutlich doch der bessere Weg gewesen?!
Und nun schämt sie sich. Wer kennt das nicht? Das habe ich auch schon gefühlt, nicht selten. Das sind die Momente, die mich runterholen und innehalten lassen. Dann denkt man nach über das Rad, in dem man steckt. Was muss sich ändern? Wo brauchen wir mehr Luft, wo eine helfende Hand? Dafür war es gut, so schlimm es war.
Das schlechte Gefühl wird bleiben, tief in uns drin, lange. Und das ist wichtig. Denn es ist unser Erinnerer, wenn wir wieder an so einen Punkt kommen. Nicht noch einmal so!
Die Beziehung zu unseren Kindern ist eine besondere, denn sie sind klein und wir sind groß. Das gibt uns eine besondere Verantwortung. Und doch bleibt einiges gleich zu anderen Beziehungen. Auch mit unserem Partner wird es Situationen geben, in denen wir Dinge sagen oder tun, die uns sofort danach leid tun, in einer Sekunde der Überforderung, einem schwachen Moment. Da sind wir vielleicht respektlos, abweisend, fies. Und ebenso werden unsere Kinder uns vielleicht mal so begegnen in einem hilflosen Akt. Aber wenn unsere Beziehung stimmt, wird sich auch dort immer sofort das Gefühl einstellen, dass das gerade ganz, ganz schlimm war, was da passiert ist, und es wird sofort wieder aufeinander zugegangen und repariert. Und so muss es doch sein!
Es gibt Grenzen, die dürfen auch in diesen Momenten definitiv nicht überschritten werden. Nie. Nicht zwischen Groß und Groß und erst recht nicht zwischen Groß und Klein. Aber es gibt auch noch das Leben dazwischen, das einfach passiert. Das Menschlichsein.
Schämt Euch nicht! Arbeitet damit.
Ich glaube, wir alle gehen durch dieses Tal, um zu erkennen, was wir nicht wollen, um zu erkennen, dass wir an unsere Grenzen gestoßen sind. Und unsere Kinder verzeihen uns das! Wir lieben sie, wie sie sind – und sie uns auch.