28 Apr

Erzähl mir was! Verbinde uns.

Eine gute Bindung braucht gemeinsame Zeit, Nähe, Vertrautheit – und ebenso gemeinsame Lebensfreude, Lachen, Quatsch machen. Zusammen spielen ist toll: ich zeig Dir meine Welt, Du zeigst mir Deine; jeder denkt sich etwas aus und lässt es einfließen ins Tun. Zusammen erzählen ist genauso großartig – und funktioniert noch dazu überall.

Man kann IRGENDwas erfinden oder sich anleiten lassen von dem, was den Kindern wichtig ist, was sie gerade im Kopf haben oder sogar von Begriffen, die sie vorschlagen. Man kann etwas einbauen, was man selbst gerne den Kindern näherbringen möchte, aus dem Alltag, aus der eigenen Vergangenheit.

Es kann etwas Gefühliges sein, etwas Schönes – oder etwas ganz Abwegiges, unglaublich Lustiges. Eine Geschichte, in der Kinder Dinge dürfen, die sonst nicht so gerne gesehen sind. In der Erwachsene Sachen tun, die sie sonst eher nicht machen würden. Eine Erzählung, in der Wesen auftauchen, die es gar nicht wirklich gibt. Alles ist möglich – je abgedrehter (bei möglicher Vorstellbarkeit im Horizont des Kindes aber), desto lustiger.

Selbst wenn man dabei ist Stocken gerät, nicht druckreif wie ein Autor spricht – das ist niemals doof oder peinlich! Auch wenn Ihr von erwachsenen Zuhörern Kopfschütteln ernten solltet und beim Reden auf der Straße Herr Wichtig vorbeigeht und eine Augenbraue hochzieht – Ihr seid niemals blamiert in diesen Momenten.

Man kann besondere Wörter einbauen, die man dem Kind mitgeben mag.

Postwendend!

Spektakel!

Hurtig!

Brotkrume!

Dafürhin!

Oder reimen und gereimte Namen erfinden: Arne Banane, Stevie Kiwi, Clärchen Bärchen, Sieger Tiger. Oder sich selbst Begriffe für Gegenstände überlegen: „Sprühsprups“ für die Gartendusche, „Mänjel“ für den kleinen Baumstumpf…

Ein Lied kann vorkommen oder ein abwegiges Verbot:

„Keine Meerjungfrauen füttern!“

„Nicht im Dunklen sonnen!“

„Bei Lautstärke nicht atmen!“

Zusammen kreativ sein schafft Glücksgefühle – und am Ende auch ein Stück gemeinsame LebensGESCHICHTE.

 

Archibald und Theo

Bei uns wohnen beispielsweise seit einer Ewigkeit ein Hase und ein Maulwurf. Immer wieder erfindet mein Mann neue Geschichten über sie, die auch die Teenies noch gerne hören. Sie beginnen immer gleich, nur das Datum wechselt:

„Es war Samstag, der 3. Mai 1927. Archibald und Theo kochten gerade ihr Mittagessen. Plötzlich hörten sie ein komisches Geräusch. Was konnte das wohl sein? (…)“

Mal leben die beiden im Mittelalter, mal im Heute, mal irgendwann dazwischen. Immer sind sie in ihrem Holzhaus mit Veranda, das mitten im Wald steht, und erleben da oder auf von dort gestarteten Reisen merkwürdige, superlustige Dinge. Sie suchen Dinosaurier und erlegen sie, um sie zu kochen – aber nie ohne vorher in alle Körperteile Fähnchen von den Ländern zu stecken, die sie kennen (das sind ungefähr 3). Sie fahren in den Urlaub, aber nie ohne die Vasensamlung, die immer zu Bruch geht. Das Haus ist schon mehrfach abgebrannt, Angelausrüstungen landeten im Hafenbecken, Messer und Keule sind stets dabei für die passonierten Jäger…

Sie waren schon in der Bretagne (wie wir) sowie im Bayernurlaub (wie wir) und dort beim Fischerfest, wo üble Keilereien geschahen. Es ist, als gäbe es die beiden wirklich. Wir alle lieben Archibald und Theo – sie und ihre lustigen Pannen und abgedrehten Taten verbinden uns .

 

Was erzählen andere?

In meinen Beratungen habe ich schon mit Familien verschiedene neue Erzähltraditionen erarbeitet, um Nähe zu schaffen, Themen an das Kind heranzutragen, ohne dass es nach Vortrag klingt, oder auch um von sich selbst erzählen zu können.

Es gab einen Jungen, der unsicher im neuen Kindergarten war, und dank des Erzähltalentes seines Vaters „kannte“ er bald mehrere Kinder, denen es so ging, aus ganz unterschiedlichen Gründen: Mia rutschten immer die zu großen Socken, die eigentlich ihrer Schwester gehörten, Emil konnte das Parfüm der Erzieherin nicht leiden, weil es nach Gurkenwasser roch, Annika hatte Angst vor der Wanduhr, weil die Zeiger manchmal so einen seltsamen Schatten machten – und das Kind des erzählenden Vaters konnte irgendwann einsteigen und von seinem Problem erzählen.

Ein anderes Kind verstand durch das ausgeschmückte Erzählen seiner Eltern von nicht-fiktiven Begebenheiten, dass auch sie sich unwohl fühlen in neuen Situationen, an fremden Orten, mit vielen unbekannten Menschen, beim neuen Job, auf einer Feier, beim Vorlesen einer Fürbitte vor der ganzen Kirchengemeinde. Und es fühlte sich verstandener in seiner Angst vor der Einschulung. Es ergaben sich neue Anknüpfungspunkte, um in den Dialog zu gehen, sich einander anzuvertrauen und zuzuhören.

So lässt sich manchmal sogar auch ein wahnsinnig kompliziert oder unangenehm erscheinendes Thema herunterbrechen auf den Erfahrungshorizont und die Verständnismöglichkeiten des Kindes.

 

Und ganz normale Bücher?

Einfach vorzulesen kann genau so gut sein. Nicht jeder kann sich einfach ins Loserzählen fallen lassen und fühlt sich damit wohl. Ich war auch immer eher ein Vorleser – dafür mit verstellten Stimme, Geräuschen, spannungsgeladenem Ausdruck. Ans Herz legen kann ich jedem unsere Lieblingslachbücher:

Egal ob lesend, erzählend, reimend, singend oder dichtend, egal ob fühlend, redend, lauschend oder lachend: miteinander schafft man eine gute Atmosphäre, Verständnis für einander, Gemeinsamkeit, Spaß an der Sprache, einen wirklichen WortSCHATZ, Verbindung, Bindung. Man schafft Rosawattewolkensituationen, ist wieder unbeschwert, fast selbst ein Kind. Man schafft auch oft körperliche Nähe, die gut tut, aber im Alltag manchmal vielleicht nicht mehr so einfach „passiert“.

Man schafft richtig gute Erinnerungen!

 

(Dir gefällt das Titelbild und es erinnert Dich an etwas? Vielleicht daran, dass Du noch das Kartenset von Kindherzgedanke zu Gunsten von Bindungs(t)räume bestellen wolltest? Dann los!)