Gastbeitrag: Unsere Kiga-Eingewöhnung
Alle Eltern kennen diesen Zwiespalt bei der ersten Eingewöhnung: Man gibt sein Kleinkind im Kindergarten oder in der Kita zum ersten Mal für längere Zeit in die Obhut eines fremden Menschen. Wie soll man damit umgehen? Was macht das emotional mit einem? Erst recht, wenn das eigene Kind beim Bringen dann noch weint. Gleichzeitig ist dieser fremde Mensch in seinem Tun ausgebildet: Er hat jahrelange Erfahrung im Umgang mit Kindern, davor eine mehrjährige Ausbildung absolviert. Und trotzdem ist da die leise Stimme in einem selbst: Aber diese fremde Person kennt eben mein Kind nicht.
In diesem Beitrag erzählt eine Mutter von ihren Erfahrungen zum Thema Eingewöhnung. Und sie schildert diesen Ablauf bei ihrer Tochter, als diese im Freien Aktiven Kindergarten Stuttgart anfing. Genau so – und doch jedesmal etwas anders – laufen alle Eingewöhnungen im dort ab. Denn jede Eingewöhnung ist ein neues Abenteuer: für das Kind, die Eltern und die Begleiter.
Eine Geschichte der Eingewöhnung
Vor zwei Jahren startete meine Tochter im Freien Aktiven Kindergarten Stuttgart. Es war nicht unsere erste Eingewöhnung bei einer Betreuungsstelle. Wir hatten bereits zwei missglückte Versuche hinter uns: Bei einer Tagesmutter und in einem anderen Kindergarten. Mittlerweile wussten wir alle in der Familie, was wir nicht mehr wollten. Wir wünschten uns stattdessen einfühlsame Erwachsene, die nicht nach starren Regeln eingewöhnen, sondern auf das Kind schauen. Auf keinen Fall wollten wir noch einmal, dass unser Kind bei der morgendlichen Trennung weinen muss. Nie wieder die Situation, dass die Erzieher sie quasi von uns wegreißen mussten, weil sie sich an uns klammerte.
Wir wollten statt dessen, dass unser Kind sich wohl fühlte und genügend Zeit bekam eine Beziehung zu seinen Betreuern aufzubauen. Daher freuten wir uns sehr auf eine für Kindergärten außergewöhnlich lange Phase der Eingewöhnung: Vier Wochen waren laut offiziellem Ablauf eingeplant. Eine erste Trennung sollte frühestens in der zweiten Woche stattfinden. Aber auch das könne je nach Kind variabel sein, wurde mir im Kindergarten gesagt.
Am ersten Tag kamen mein 3,5-jähriges Kind und ich gespannt in den Kiga. Ein bisschen kannten wir den Ablauf schon von einem sogenannten Schnuppertag, den wir vor der Anmeldung miterlebt hatten. Meine Tochter freute sich besonders auf den Morgenkreis mit Singen und Spielen, hatte gleichzeitig aber auch große Sorge, irgendetwas ohne mich machen zu müssen. Die beiden vorangegangenen Eingewöhnungen hatten ihre Spuren hinterlassen und Trennungsängste in ihr geweckt. Glücklicherweise konnte ich sie da beruhigen: Eine Trennung war für die erste Woche nicht geplant. Ich bekam einen Stuhl zugewiesen, von dem aus ich die Kiga-Welt beobachten konnte und der der sichere Hafen für meine Tochter sein sollte. Von dort aus konnte sie ihre Entdeckungstouren starten und jederzeit zurück kommen, um bei mir Kraft zu tanken.
Anspruch und Wirklichkeit klaffen oft auseinander
Für mich war es spannend den Begleitern bei ihrer Arbeit zuzuschauen. Es war für mich zu Beginn eine völlig fremde Welt. Bei meinen bisherigen Erfahrungen in Kindergärten hatte ich eher einen autoritären, manchmal sogar übergriffigen Umgang von Seiten der Erzieher erlebt. Umso überraschter beobachtete ich hier im Kiga einen offenen, authentischen, humorvollen, entspannten, achtsamen und gleichwürdigen Umgang zwischen Kindern und Begleitern. Eigentlich alles ganz selbstverständliche Dinge, dachte ich mir. Und doch hatte ich genau das in den anderen Einrichtungen bisher vermisst. Das erkannte ich in diesen Wochen, als ich sah in welchem Ausmaß man seinen Anspruch wirklich leben kann. Denn oft klaffen doch Anspruch und Wirklichkeit weit auseinander – auch in meinem Alltag als Mutter. Hier im FAS-Kiga sah ich beides zum ersten Mal vereint.
Die Begleiter bemühten sich um meine Tochter, ohne dabei aufdringlich zu sein. Sie versuchten in Kontakt mit ihr zu treten, ohne ihr dabei zu nahe zu treten, ohne ungewollten Körperkontakt aufzubauen. Sie ließen mein Kind einfach nur schauen, wenn es wollte. Versuchten es aber auch immer wieder mit Blicken und Worten einzubinden. Im Laufe der Zeit nahm meine Tochter diese Annäherungsversuche immer mehr an. Ich begleitete sie auf ihren Wunsch hin zwar noch in alle Räume und zu allen Aktivitäten und sie entfernte sich nie von alleine aus dem Zimmer, in dem ich mich aufhielt. Aber ihr Aktionsradius wurde immer größer.
Die Morgenkreis-Krise
Eine erste Krise kam, als die Begleiter und ich gemeinsam den Entschluss fassten, dass ich nach mehreren Tagen nun nicht mehr in den Morgenkreis mit hinein kommen sollte. Bei meiner Tochter löste das Unverständnis und Trauer aus. Alleine wollte sie nicht mitgehen, ihre gerade aufgekommene Freude am Kindergartenalltag wurde durch diese Entscheidung getrübt. Die Angst vor einer Trennung von mir als Mutter rückte stärker in den Vordergrund.
Anstatt dass die Begleiter nun den Druck auf meine Tochter erhöhten, wie ich es in den anderen Einrichtungen erlebt hatte, sprachen sie stattdessen immer wieder verständnisvoll mit ihr. Sie spiegelten ihr, was sie gerade fühlte, trauerten mit ihr um den Morgenkreis und luden sie weiter allmorgendlich geduldig dahin ein. Niemals aber bedrängten sie meine Tochter in ihrer Entscheidung, dass sie den Morgenkreis ohne Mama nicht mitmachen wollte. Denn wie fast alles im Freien Aktiven Kindergarten ist der Morgenkreis kein Pflichtprogramm, sondern ein freiwilliges Angebot an die Kinder.
Diese Woche war also die Woche der Trauer um den Morgenkreis. In Abstimmung mit den Begleitern, wurde dann auch die erste Trennung nach diesem, für mein Kind einschneidendem Erlebnis um eine Woche nach hinten verschoben. Das Kind saß wieder vermehrt auf meinem Schoß, das gewonnene Vertrauen schien verspielt. Die Begleiter waren weiter geduldig und unaufdringlich, aber immer dann zur Stelle, wenn das Kind Begleitung suchte.
Die erste Trennung
So beschlossen wir in der vierten Woche eine erste Trennung von wenigen Minuten zu versuchen. Das war auch für mich als Mutter aufregend. Wann ist der richtige Zeitpunkt zum Gehen? Wann kann ich mein Kind alleine lassen, ohne dass es deshalb Weinen muss? Was sind die richtigen Worte, um ihr den Abschied zu erleichtern?
Der Kontakt zwischen den Begleitern und mir hätte an diesem Tag der ersten Trennung kaum intensiver sein können. „Jetzt?“ „Nein, noch nicht“, sagten die Augen. “Aber jetzt?“, fragte mein Blick. „Noch nicht“, sagten die Augen. Irgendwann dann doch der Augenkontakt und ein eindeutiges Nicken: Jetzt. Ich ging hin, um mich von meinem Kind zu verabschieden. Unter den beobachtenden Blicken eines Begleiters, verabschiedete ich mich von meiner Tochter. Wohl wissend, dass sofort jemand Vertrautes da wäre sie zu trösten, falls sie weinen würde. Doch alles glückte bei dieser ersten Trennung.
Diese enge Kommunikation praktizierten wir die nächsten zwei Wochen täglich. Mal mit mehr Erfolg, mal mit weniger Erfolg. Mal wurde ich nach 10 Minuten von meinem Spaziergang zurück gerufen, da das Kind untröstlich weinte. Ein ander mal war alles gut, wenn ich wieder kam. Wir erfanden gemeinsam ein persönliches Abschiedsritual, um ihr die Trennung zu erleichtern. Wir erklärten, wo der große und der kleine Zeiger auf der Uhr stehen würden, wenn ich wieder käme. Die Abstände wurden jeden Tag etwas länger und größer. Irgendwann traute ich mich das erste Mal wieder nach Hause zu fahren und wartete praktisch die ganze Zeit auf einen Anruf, dass ich zurück kommen müsste. Aber er kam nicht.
Der Durchbruch in der Eingewöhnung
Und dann suchte sich meine Tochter ihren Lieblingsbegleiter aus. Von einem Tag auf den anderen wurde für mich – ohne ersichtlichen Grund – klar, dass sie sich auf einen Begleiter fixiert hatte. Betrat dieser den Raum strahlte ihr Gesicht. Sie versuchte verstärkt seine Aufmerksamkeit zu bekommen und alle anderen Begleiter konnten dagegen einpacken. Von da an ging es in großen Schritten voran. Ich wusste sie in guten und für meine Tochter lieb gewonnenen Händen. Und konnte dadurch leichter loslassen, auch wenn ihr mein Gehen ab und zu schwer fiel.
Doch nicht der richtige Kindergarten?
Nach sechs Wochen wurde unsere Eingewöhnung für abgeschlossen erklärt. Und das war genau der Moment, in dem meine Tochter morgens auf einmal beschloss, dass sie nicht mehr in den Kindergarten möchte. Dass sie auf einmal wieder 20 bis 30 Minuten im Kiga auf meinem Schoß saß, bevor ich gehen konnte. Und dass sie regelmäßig weinte, wenn ich dann losging. Sie klammerte sich nie an mir fest, aber sie weinte herzzerreißend in den Armen eines Begleiters. Und das war es doch, was ich nie gewollt hatte: Ein weinendes Kind im Kindergarten abgeben.
Ich war fertig mit den Nerven und fragte mich, ob auch dies wieder nicht der richtige Kindergarten war. Aber wenn es hier nach sechs Wochen der Eingewöhnung noch nicht klappte, wo sollte es dann jemals funktionieren? Nachmittags holte ich stets ein ausgeglichenes, fröhliches und entspanntes Kind ab. Ich erkannte, sie hatte also Spaß, wenn sie einmal dort war. Aber der Weg jeden Morgen dorthin vom Aufstehen bis zum Schließen der Kiga-Türe, war für uns alle nervenzehrend.
Der AHA-Moment
Eines Morgens nahm sich einer der Begleiter Zeit für mich, um mit mir die Situation in Ruhe ohne Kind zu besprechen. Das Gespräch öffnete mir die Augen: Meine Tochter trauerte um den gemeinsamen Tag mit mir. Wenn sie die Wahl gehabt hätte, hätte sie sich immer für einen Tag mit mir statt einen Tag im Kindergarten entschieden. Da sie die Wahl nicht hatte, ließ sie ihrer Trauer freien Lauf. Hatte sie genug getrauert, war sie wieder offen für die Erlebnisse und Angebote im Kiga, weshalb ich sie mittags fröhlich und ausgeglichen abholen konnte. Meine Aufgabe als Mutter war es, diese Gefühle der Trauer nicht klein zu reden, sondern sie zu akzeptieren und zu achten. Von diesem Moment an gelang mir diese Aufgabe immer besser, was sich auch im Verhalten meiner Tochter spiegelte: Sie ging morgens wieder freudiger in den Kiga und weinte nach und nach weniger beim Abschied.
Und ich hatte nach diesem Gespräch verstanden, dass das Weinen meiner Tochter dieses Mal ein anderes Weinen war als in den vorherigen Einrichtungen. Dass es keine Panik und Angst war, sondern Trauer. Dass sie damit nicht alleine gelassen wurde, sondern sich in vertrauten Armen trösten lassen und zur Ruhe kommen konnte. Und auch ich konnte wieder vertrauen. Denn ich hatte insgesamt sechs Wochen lang gesehen, wie die Begleiter mit den Kindern umgehen. Und das, was ich in dieser Zeit gesehen hatte, hatte mein Vertrauen in den FAS-Kindergarten immer weiter wachsen lassen.
Ende gut, alles gut?
Unsere Eingewöhnungsgeschichte könnte hier nun zu Ende sein. Tatsächlich dauerte es aber beinahe ein ganzes Jahr, bis meine Tochter so richtig gut eingewöhnt war und so richtig gerne in den Kindergarten ging. Sie eroberte sich nach und nach ihre eigenen Räume und Gewohnheiten. Sie fand Freunde und beste Freunde. Ihre kindliche Liebe schenkte sie nicht mehr nur einem Begleiter, sondern verteilte sie nach und nach auf alle Begleiter. Sie lernte die Vorzüge jedes einzelnen Begleiters kennen und schätzen – mit jedem ließen sich andere tolle Sachen erleben. Sie kannte sich nun aus in ihrem Kiga und fühlte sich auf dem ganzen Terrain sicher.
Seit einigen Monaten ist es nun sogar so, dass meine Tochter mich beim Abschied von sich aus wegschickt: “Mama, sag jetzt tschüss, damit ich spielen gehen kann.“ Wenn sie die Wahl zwischen einem Tag zu Hause und dem Kiga hat, wählt sie mittlerweile fast immer den Kiga. Genauso hatte ich mir das immer für meine Tochter gewünscht!
Ich erlebe solche Momente mit Freudentränen in den Augen und bin sehr dankbar, dass alles so gekommen ist! Danke liebe Kiga-Begleiter, dass ihr so viel Geduld aufgebracht habt, immer wieder für mein Kind im richtigen Moment da zu sein. Und es bis heute immer wieder seid. Mit dem wunderbaren Ergebnis, dass meine Tochter sich mittlerweile völlig frei im Kindergarten bewegen kann.
Dieser Artikel der Autorin Daniela erschien ursprünglich im Blog der Freien Aktiven Schule Stuttgart.