24 Mai

Abschied oder Drama?

Ich liege platt im Liegestuhl. Wir sind im Schwimmbad. Der Kleine spritzt im Kinderbecken herum, der Große ist irgendwo unterwegs, auf der Suche nach dem nächsten Abenteuer. Ich war eben einige Bahnen ziehen, dem Rücken etwas Gutes tun. Nun bin ich müder, als ich sein dürfte, aber unserem Besuch hier gingen mehrere Tage Migräne voraus – das macht k.o.

In mein Handtuch gewickelt dämmere ich fast weg, als plötzliches Schimpfen einer weinerlichen Kinderstimme mich wieder hochreißt: ein etwa 3 Jahre altes Mädchen möchte nicht nach Hause gehen!

Es ist gleich 18 Uhr, der Tag des Mädchens war sicher schon lang. Sie sieht müde aus, vielleicht ist sie auch hungrig, und definitiv kann sie sich nicht an den Gedanken gewöhnen, sich jetzt aus diesem Schwimmbad zu verabschieden.

 

Drama in der Luft

Ich beobachte ein bisschen, höre zu. Ihr Vater scheint alleine mit ihr zu sein. Vermutlich sind sie öfter hier. Er geht auf sie ein, tröstet, bleibt recht ruhig. Irgendwann kann sie ihm wieder zuhören und nimmt seinen Vorschlag an, wie immer zum Schluss unter „ihrer“ Dusche am Babybecken noch ein wenig abschließend zu duschen.

Zielsicher geht sie zur rechten der zwei Duschen und drückt den Knopf. Ihre Kraft reicht nicht, der Papa stellt alle Taschen wieder ab und hilft. Schnell wird klar, dass die Dusche nicht ganz in Ordnung ist: das Wasser geht nach maximal 2 Sekunden wieder aus. Er versucht es wieder und wieder, seine Tochter schaut verzweifelt, müde, langsam wieder wütend. Der Vater probiert die linke Dusche aus: sie funktioniert einwandfrei, das Wasser läuft und läuft. Doch seine Tochter hatte ihren Plan im Kopf – die rechte Dusche, wie immer. Beim Zusehen spürt man, wie ihr Körper starr wird, der Frust hochkommt.

Ihr Papa sieht es auch! Er sagt ihr etwas Aufmunterndes, das ich nicht verstehen kann. Dann stellt er sich unter die linke Dusche, schaltet das Wasser an und lässt es laufen. Und sie führt er an die richtige Position unter der rechten Dusche und schaltet sie ein. Wieder. Und wieder. Und wieder. Alle 3 Sekunden drückt seine Hand den Kopf.

 

Liebevoller Kompromiss

Seine Tochter wird ruhiger. Duscht, wird warm, müde, beruhigt sich. Ihr Blick verschwimmt, sie nimmt die Halle sicher nicht mehr richtig wahr. Vielleicht nach dem 20. oder 30. Drücken beugt sich ihr Papa zu ihr hinunter und fragt vermutlich, ob es genug war, denn sie schaut ihn an, nickt und lässt sich in ein großes Handtuch wickeln. Der Vater nimmt die Taschen wieder auf, sein Kind an die Hand und verlässt das Bad.

Ich bleibe ein bisschen beeindruckt zurück und überlege mir, dass eine andere Vorgehensweise – nämlich das Nichtreagieren auf den Plan des Kindes, das Nichthelfen beim Abschiednehmen aus der Situation, sondern ein Aushalten und Abbügeln der Wut, vielleicht ein Zurückmotzen und das Kind gegen seinen Willen aus der Situation tragen – vermutlich ähnlich viel Zeit in Anspruch genommen hätte, aber dann der Frust wohl auch noch in der Umkleide und auf dem Heimweg da gewesen wäre. Und ich überlege mir, dass beide dann mit einem schlechten Gefühl fortgegangen wären, das sich noch dazu vielleicht auf den nächsten Besuch hier ausgewirkt hätte. Denn gerade aus solchen Momenten entstehen manchmal ganz schnell ungute „Gewohnheiten“ / „Traditionen“: die Eltern haben Angst, dass es wieder so schrecklich wird, treten vielleicht erst recht „entschlossen“ auf und können ihre Kinder nicht mehr richtig sehen und nicht liebevoll reagieren.

Dabei ist es meist einfach mit der Empathie und den Kompromissen – und benötigt oft nicht mal mehr Zeit als ein Kampf. Noch dazu tut es uns gut: allen Beteiligten und unseren Beziehungen.

IH