09 Mai

Gemeinsam finden wir Dein Glück – nicht meins!

Unsere Kinder werden immer wieder Dinge probieren und beginnen, die nach kurzer Zeit keinen Spaß mehr bringen, sondern zur Herausforderung werden. Oder sie werden sich Dinge vornehmen, auf die sie keine Lust mehr haben, wenn es dann soweit ist.

Je nach Naturell werden die einen dann sofort aufgeben bzw. nicht hingehen wollen, die anderen werden uns vielleicht erstmal um Hilfe bitten, aber dann auch tendenziell eher ein Ende suchen, und wieder andere werden sich langwieriger durchbeißen – Unterschiede, wie man sie bei uns Großen auch findet.

Wie kann unsere Elternrolle aussehen, wenn unser Kind aufzugeben scheint und in einem Moment die Lust auf etwas anderes größer ist als das Durchbeißenwollen? Vor dieser Frage steht man gar nicht selten: zieht man den Schwimmunterricht bis zum Ende durch trotz Schwierigkeiten, ist es nur Missmut oder ist es Angst, geht man wieder und wieder zur Klavierstunde trotz Unlust, trifft man sich nochmal mit der nicht so gut passenden Freundin, fährt man zur Geburtstagsfeier trotz der netten Zeit gerade im Garten…?

Unser wichtigster Begleiter bei der Entscheidungsfindung in solchen Momenten sollte stets der Gedanke sein, dass es um das Glück unseres Kindes geht, nicht um unseres. Wir wollen aus einem Geschichtenschreiber niemanden machen, der vor tausend Menschen auf der Bühne steht und singt; wir wollen aus einem neugierigen Chemieversuchemacher niemanden machen der Papas Tischlerei übernimmt; wir wollen aus einem Tagträumer keinen rasanten Praktiker machen. Wir wollen unsere (unerfüllten) Wünsche nicht den Kindern überstülpen, denn das wäre zumeist nur mit Druck möglich. Wir können sie ihnen vorstellen, aber wenn sie nicht passen, müssen wir sie ganz weit wegpacken!

Das Kind lebt sein Leben, es muss sein Glück finden.

„A lot of parents will do anything for their kids – except let them be themselves.“

(Banksy)

„Viele Eltern werden alles für ihre Kinder tun, außer sie sie selbst sein zu lassen“ – und das sollte uns als bindungs- und beziehunsorientierte Eltern nicht passieren. Muss es auch nicht! Unsere Beziehung ist gut, unsere Bindung ist eng, wir tauschen uns aus, wir sehen hin, wir kennen unser Kind und können es recht gut einschätzen. Das Hinschauen müssen wir in solchen Momenten noch einmal bewusster machen!

 

 

Was mache ich, wenn das Kind von jetzt auf gleich nicht mehr durchhalten will?

Unsere übergeordneten Gedanken hinter den Entscheidungen in solchen Momenten sollten sein, dass wir uns für unser Kind folgendes wünschen:

  • Selbstvertrauen
  • Selbstbewusstsein
  • Emotionen aussprechen können
  • überlegtes Lösen eigener Probleme
  • Erfolgserlebnisse
  • Empathie
  • Eigenmotivation
  • Beharrlichkeit für die eigenen Wünsche
  • Entscheiden ohne Demut, Aggression, Schweigen, Schamgefühl o.ä.

Was heißt das genau? Das ist eigentlich gar nicht so kompliziert wie es anhand der vielen Punkte wirken mag. Es bedeutet nur, dass wir genau hinschauen sollten, was unser Kind wohl kann. Wenn es von jetzt auf gleich bei irgendetwas nicht mehr durchhalten, nicht mehr teilnehmen will, dann hat es manchmal einfach ein nicht so wertschätzendes Bild von sich, oder die Motivation ist gerade winzigklein; vielleicht erscheint ihm ein aufgetretenes Problem auch als ein riesiger Berg, oder die Menschen, mit denen es sich auseinandersetzen muss, wirken erschreckend.

Wir sind dann dazu da, das richtige Maß zu finden – sprich: nicht sofort überfürsoglich zu sagen: „Okay, dann lässt Du es halt bleiben, Du armes Mäuschen!“, ebenso wenig wie sofort voller Druck und Macht zu sagen: „Das wird gemacht, basta!“

 

 

Wir können:

  • unserem Kind sagen, dass wir uns gut vorstellen können, dass es das schaffen kann, was es sich mal vorgenommen hat.
  • mit unserem Kind zusammen achtsam hinschauen, was genau schwierig ist, was gerade schöner wäre.
  • mit unserem Kind zusammen formulieren, welche Gefühle da sind, welche Probleme da sind (hilfreich ist oft Visualisieren durch Schreiben, Malen, Mind Maps, Kalender zum Abstreichen).
  • das Kind überlegen lassen, wie ein Lösungsweg aussehen könnte , ggf. dabei helfen (wenn es selbst nicht zurecht kommt, sind oft zwei vorgeschlagene Varianten gut, so dass es eine wählen kann).
  • gemeinsam kleine Ziele setzen, Schritt-für-Schritt-Lösungen finden, die ggf. auch „unterwegs“ wieder geändert oder eben abgebrochen werden können
  • dem Kind vermitteln, dass auch wir unangenehme Situationen und Menschen kennen und erzählen, wie wir damit umgehen.
  • Empathie schulen, gemeinsam überlegen, wie die anderen Beteiligten sich fühlen (z.B. ggf. Trainer, Team, Freunde – ohne ein schlechtes Gewissen zu machen[!], allein um einen gut bedachten Weg finden zu können).
  • selbst Beharrlichkeit vorleben und nicht vergessen, wie wichtig wir als Vorbild sind.
  • vertrauen, dass das Kind durch unseren Glauben an seine Stärke und unsere Hilfe im Bereich der Achtsamkeit die richtige Entscheidung treffen wird.

Gerade die kleinen Teilziele, die relativ leicht erreichbar sind, sind oft ein hilfreicher Schlüssel und bringen Fortschritte auf dem Weg der Entwicklung positiver Gefühle. Das kann zum Beispiel sein, dass man noch bis zum nächsten Chorauftritt zum Singen geht, bis zu den nächsten Ferien zum Schwimmen, es noch einmal mit dem Nachhilfelehrer versucht auf die neu besprochene Art und Weise – das was Euch als möglich erscheint für Euer Kind, als exakter Grenzpunkt des Forderns / Potentialreizens zwischen Unterfordern und Überfordern, zwischen den schlechten Polen wie zu starker Fürsorge, Vernachlässigung, Gehorsamsforderungen usw.!

 

 

Was können wir noch tun?

Oerter/Montada sprechen hier von „Eltern als Arrangeure(n) von Entwicklungsmöglichkeiten“, als „Türöffnern“ (Oeter/Montada [Hrsg.], „Entwicklungpsychologie“, 6. Aufl. v. 2008, S. 136). Das heißt, wir sollten nicht nur schauen, was wir dem Kind zutrauen, die Gesamtsituation im Blick haben und mit dem Kind gemeinsam Worte, Zwischenziele usw. finden – sprich: dem Kind motivierend helfen, sich selbst zu helfen; wir sollten auch im Blick haben, dass das Potential, das unserem Kind innewohnt, ein gutes Setting hat, um frei zu werden.

Die Orte, an die unser Kind im Zuge der o.g. Überlegungen geht – sei es ein Gebäude mit Kursangeboten, sei es das Heim eines Freundes, sei es ein Sportplatz, sei es ein Waldstück – sollten so gut es geht Ja-Umgebungen sein; viele verwenden diesen Begriff eher für das Kleinkindalter und die beginnende Mobilität, aber ich finde das auch später wichtig: Orte, die uns positv erscheinen und kein Bauchweh machen, an die wir unsere Kinder mit guten Gefühlen alleine geben mögen, sind geeignete Plätze, um „Ich schaff das“-Situationen wirklich zu meistern.

Genauso relevant sind Ja-Menschen und eine Ja-Atmosphäre. Die Kinder sollten nur bei Menschen bleiben, bei denen Ihr ein gutes Gefühl habt, denen Ihr vertraut. Kompromiss- und Notfalllösungen sind nicht vertrauenserweckend und sicher nicht zielführend, um Ziele zu erreichen, die die Kinder gerne erreichen möchten, aber bei denen es Klippen zu umschiffen gilt. Pausen und Wechsel sind immer zulässige Mittel, wenn Ihr Euch in den Menschen geirrt habt, und kein Zeichen von Inkonsequenz! Auch wir Großen wechseln Studienfächer, Ärzte, Werkstätten oder gar Freunde! Eine Ja-Atmosphäre lässt sich hierbei ganz einfach beschreiben: sie sollte in jeder Hinsicht gewaltfrei sein.

 

 

Zeit und Ruhe!

Wenn Ihr an solch einem Punkt angekommen seid, dass Euer Kind von jetzt auf gleich etwas nicht fortführen, zu irgendetwas nicht hingehen mag, und es nicht nur um ein einmaliges Treffen am heutigen Tage geht, bei dem es nicht so relevant ist, ob Ihr Euch nun für Weg A oder B entscheidet, sondern eine grundsätzliche Vereinbarung gefunden werden soll, sind ein paar Dinge ganz und gar störend:

  • Hektik
  • das Aufzählen von Kosten („Die Reitstunde heute kotet 35 €! Da müssen wir jetzt hin! Wir entscheiden später!“)
  • ein schlechtes Gewissen
  • Tränen

Gebt Euch Zeit. Setzt Euch hin. Nehmt Euch einfach mal in den Arm!

Geht die Punkte oben durch, überlegt in Ruhe und lasst alles heute sausen – es gilt erst einen genauen Blick zu machen und einen richtigen Weg zu finden!

Bringt Euer Kind bitte nicht weinend irgendwohin, auch wenn Ihr sicher seid, dass es eigentlich der richtige Weg wäre, dass sein Herz eigentlich für dieses Hobby, diesen Freund, diese Leidenschaft brennt. Gönnt Euch die Zeit und erkundet genau, was los ist.

Es ist so viel mehr von Glück erfüllt, wenn Euer Kind in Ruhe spüren und formulieren kann, dass es etwas möchte oder nicht möchte.

IH