“ ‚Normi‘, sagt Opa, als er mich sieht, und es fühlt sich wie eine Umarmung an. Ich denke an die Jungs in meiner Klasse, die alle darauf pochen, schon fast erwachsen zu sein, MTV statt Super RTL schauen, für die Mädchen aus der Parallelklasse schwärmen und zwischen den Stunden über das Rauchen und manchmal über Sex sprechen. Ich will gar nicht erwachsen sein. Erwachsene streiten sich ständig, sorgen sich um Geld und trinken Bier, wenn es ihnen schlecht geht. Ich bin mit Kindsein noch nicht fertig.“
Diese Zeilen mitten aus dem Buch „Die Fische schlafen noch“ von Norman Wolf (MVG) beinhalten schon ziemlich viel, was in diesem Werk steckt: gefühlvoll erinnert sich der Autor zurück an seine Kindheit, in der das idyllische Familienleben immer stärker zerbröselte und ihn innerlich bedrückte.
In Gesprächen oder Beratungen rund um das Thema Eingewöhnung finde ich es auffällig, dass immer wieder klare und sehr kurze Zeiträume angegeben werden, die für die Zeit des Ankommens eines Kindes in der neuen Umgebung vorgesehen sind. Fragt man nach, liegt das oft an äußeren Bedingungen: Aufnahme in den Einrichtungen nur zu bestimmten Zeiten, viele Kinder auf einmal, Elternzeit-Ende kurz darauf, wartende Arbeitgeber, finanzieller Druck… Manche Erzieher haben mir gesagt, das sei das, was die meisten Eltern als Entlastung hören wollten; andere erzählten, mehr Raum sei in ihrem Kindergarten auch gar nicht, weil in den heißen Phasen ständig neue Kinder kommen und jeder ja den intensiven Kontakt zu einem Bezugserzieher brauche.
Aus bindungstheoretischer und aus Kindersicht tut das alles ziemlich weh, und es ist wunderschön, wenn es anders läuft / laufen kann. „Bei uns ist immer das Kind der Chef!“ war die Aussage einer Kita-Leitung, die mich sehr gefreut hat.
Bindungs- und Beziehungsorientierte Elternschaft geht immer von den Bedürfnissen des jüngsten Familienmitgliedes aus, aber legt Wert auf ausreichend Selbstfürsorge der Eltern, denn Benötigtes kann man nur geben, wenn man genug Kraft dazu hat. Gerade im ersten Lebensjahr eines jeden Kindes ist diese Balance eine Herausforderung. Dabei helfen möchte das Buch „WOW – MOM – Der Mama-Mutmacher fürs erste Jahr mit Kind“ von Lisa Harmann und Katharina Nachtsheim, den Betreiberinnen des Blogs Stadt – Land – Mama. Weiterlesen →
Sind „unerzogen“, „nicht erziehen sondern das Kind begleiten“, und auch „Attachment Parenting“ wirklich einfach mit Chaos gleichzusetzen? Mit Selbstaufgabe der Eltern? Und schaffen sie die „Tyrannen“ von Morgen?
Wenn Dein Kind auf dem Sofa springt, und es ist okay für Dich (Hey, das ist eh oll. Oder hält es gut aus.), wenn Dein Kind mit Fingerfarbe auf die Wände malt, und es ist okay für Dich (Bunt ist schön!), wenn Dein Kind das Auto mit Sand aus seinem Schuh vollkippt, und es ist okay für Dich (Saugen wir nächstes Mal raus. Stört keinen!) – dann
kannst Du es ruhig so zulassen,
dann kannst Du das Kind es selbst sein lassen,
dann hat es genug Wurzeln bekommen, um sich frei für solche Wege entscheiden zu können,
dann bekommt es von Dir Begleitung und vor allem Flügel, m seinen Weg zu gehen,
dann stehst Du größer, liebevoll, weiser daneben, hast Dir alles gut überlegt und Ihr seid in guter Verbindung.
Eine gute Bindung braucht gemeinsame Zeit, Nähe, Vertrautheit – und ebenso gemeinsame Lebensfreude, Lachen, Quatsch machen. Zusammen spielen ist toll: ich zeig Dir meine Welt, Du zeigst mir Deine; jeder denkt sich etwas aus und lässt es einfließen ins Tun. Zusammen erzählen ist genauso großartig – und funktioniert noch dazu überall.
Man kann IRGENDwas erfinden oder sich anleiten lassen von dem, was den Kindern wichtig ist, was sie gerade im Kopf haben oder sogar von Begriffen, die sie vorschlagen. Man kann etwas einbauen, was man selbst gerne den Kindern näherbringen möchte, aus dem Alltag, aus der eigenen Vergangenheit.
Es kann etwas Gefühliges sein, etwas Schönes – oder etwas ganz Abwegiges, unglaublich Lustiges. Eine Geschichte, in der Kinder Dinge dürfen, die sonst nicht so gerne gesehen sind. In der Erwachsene Sachen tun, die sie sonst eher nicht machen würden. Eine Erzählung, in der Wesen auftauchen, die es gar nicht wirklich gibt. Alles ist möglich – je abgedrehter (bei möglicher Vorstellbarkeit im Horizont des Kindes aber), desto lustiger.
Überall wird inzwischen von guten Bindungen gesprochen, von Bezugspersonen und dass ein Kind mehrere haben kann und sollte. Aber wie wird man eine echte Bezugsperson? Wie bleibt man das? Was braucht es dafür – im privaten und im institutionellen Rahmen? Ein schlichter enger Verwandtschaftsgrad reicht natürlich ebenso wenig wie ein Betreuungsvertrag. Man muss schon etwas dafür tun.
Eine gute, gesunde Bindung eines Kindes an einen Erwachsenen entsteht durch erfahrene, echte Zuwendung, durch das Gefühl von Geborgenheit, durch den Eindruck, wirklich akzeptiert zu werden. Sie entsteht durch eine „Pflegekompetenz“, die das Kind wahrnimmt, und durch eine enge Begleitung seiner Entwicklung in Form von Teilnahme, Hilfe, Orientierungsgebung, Ermutigen. Und besonders wichtig ist auch die erfahrene Verlässlichkeit. Die benötigte Intensität ist individuell verschieden, und der Zeitfaktor oder auch die räumliche Nähe sind gar nicht immer so relevant; so kann eine Großmutter in 500 km Entfernung, die man nur dreimal jährlich sieht, auf Grund ihrer echten Zuwendung, wann immer dies möglich ist, mehr Bezugsperson sein, als die nebenan lebende Tante, die nicht richtig im Moment ist, wenn sie auf das Kind trifft.
Möchte ich also Bezugsperson werden, muss ich mich hineingeben in das Kinderleben, Sicherheit geben, Bedürfnisse erspüren, am besten immer mal wieder Alleinzeit mit dem Kind verbringen und wirklich „mit“ sein, wenn das Kind die Welt erkundet oder davon erzählt. Ich sollte sicher und leitend Wurzeln geben, mich selbst und meine Bedürfnisse auch nicht verleugnen und dem Kind ebenso sicher Flügel ermöglichen.
Manchmal geht das ganz schnell, dass die Sicherheit da ist und alles klar ist zwischen zwei Menschen, und manchmal braucht es lange. Jedes Kind ist anders, die Atmosphäre kann sich unterscheiden, gemachte Erfahrungen spielen eine Rolle. Das Kind braucht seine individuelle Eingewöhnungszeit für neu hinzukommende Bezugspersonen – in der Kita, mit einem Babysitter, mit Verwandten. Die kann man auch nicht hektisch verkürzen, wenn man wirklich eine sichere Bindung möchte, aber man kann sich extra intensiv um den Aufbau bemühen: ehrlich, gefühlvoll, angemessen.
Und wenn sie wieder geht?
Manchmal geht auch eine Bezugsperson. Bei der Trennung von Eltern oder Partnern, aber auch durch andere Ereignisse. Umzüge, Wechsel von Institutionen, Todesfälle…alles mögliche kann Ursache sein. Dann bleibt definitiv eine Lücke. Der Part, den diese Person eingenommen hat, bleibt frei; die Bedürfnisse, die genau diese Person erfüllt hat, bleiben unerfüllt. Und dann?
Theoretisch kann eine der bisherigen Bezugspersonen die Lücke füllen. Praktisch ist dies nicht immer möglich, denn jeder hat ein gewisses Kraft- und Zeitkontingent, die irgendwann erschöpft sein können. Was aber immer möglich ist, ist dass eine neue Person diese Lücke füllt, den bisherigen Menschen im Leben des Kindes ersetzt. Das können sogar mehrere Personen gemeinsam übernehmen; so bekommt das Kind mehr Ansprechpartner, mehr Vorbilder, mehr Zuhörer, mehr Wurzelgeber und lernt auch noch mehrere verschiedene Beziehungsarten kennen, was für die soziale Entwicklung vorteilhaft sein kann.
Dann ist „mehr als die Eltern“ und „außerhalb der Kernfamilie“ gar nicht so ein Problem?
Nein, eine Betreuung durch Nicht-Eltern ist eben nicht simpel schlecht zu reden, wie es doch immer wieder passiert! Kinder müssen keinen Schaden nehmen, wenn eine der wichtigsten oder vor allem die primäre Bezugsperson nicht ständig greifbar ist – Hauptsache die anderen haben sich sanft in das Leben und das Herz des Kindes hineingearbeitet. Das kann im Babyalter wie bei Kleinkindern so sein oder auch erst bei großen Kindern und Teenagern. Gute Bindungen warten überall, man muss sie nur mit Bedacht ins bestehende Bindungsnetz hineinweben.
Habt Ihr schon mal Vorwürfe zu hören bekommen, dass Ihr „zu nett“ zu Euren Kinder wärt? Sie toben und verweigern sich, motzen, flippen aus, und Ihr habt immer noch die Kraft, höflich, gelassen, bestimmt, aber liebevoll zu bleiben. Sie müssen überredet werden, im Alltag mitanzupacken, und trotzdem zollt Ihr ihnen Respekt und Dank, wenn sie es tun – und andere meinen, sie müssten das kommentieren oder von sich selbst berichten: Wenn meine Kinder so drauf wären, bekämen die überhaupt kein nettes Wort mehr von mir! Die sollen sich erstmal zusammenreißen, dann bin ich auch wieder höflich. Die sollen erstmal lernen, wie man miteinander umgeht, dann mache ich das auch respektvoll. Wie mit einem Erwachsenen.
Oder: Die sind doch noch klein. Die brauchen diese Art von Ansagen. Und sie müssen helfen. Ich mache ja auch alles für sie. Da braucht’s kein Danke. Höre ich ja auch kaum.
Es gibt Leute, die finden es bescheuert, dass ich mich bei meinen Kindern fürs Müllraustragen bedanke. Es gibt Leute, die finde ich bescheuert, sobald sie den Mund aufmachen.
Bindung hat immer zwei Richtungen; das Kind ist gebunden – an seine Bezugsperson(en), die ihrerseits Bindung ermöglicht/ermöglichen. In der Familie blicken wir hier auf Kind und Bezugsperson, i.d.R. Elternteil. Die Bezugsperson sollte feinfühlig erfüllen, was das Kind signalisiert: dass es Nähe, Hilfe und Trost braucht – oder dass es Zutrauen und Loslassen benötigt. Das ist ein sehr emotionaler Vorgang, in vielem unbewusst, in dem nicht nur der Erwachsene Akteur ist, sondern auch das Kind agiert und reagiert.
Wenn ein Kind nun als „sehr anstrengend“ empfunden wird oder als „merkwürdig“, also Signale aussendet, die uns oder dem Umfeld missfallen oder uns verunsichern, geht bei vielen Erwachsenen der Blick erstmal auf das Kind: Was stimmt nur mit ihm nicht? Was ist da los? Was hat es wohl erlebt, vielleicht mit den Freunden oder außerhäusigen Erziehern? Was muss es verarbeiten? Welche Phase ist das denn nun wieder??
Wenn ich jemandem erzähle, dass ich als pädagogische Beraterin und Familienbegleiterin arbeite oder auch dass ich Elternkurse leite und Mitglied im Verein Bindungs(t)räume bin, kommt öfter mal die Aussage, dann müssten meine Kinder ja perfekt sein und immer brav – mit einem angeschlossenen Augenzwinkern und der Frage, ob ich sie nicht mal mitbringen und vorführen möchte, oder ob ich etwa Angst hätte, dass etwas schief laufen könne. Ja tatsächlich: so und ähnlich habe ich es oft gehört.
Dahinter steckt ein großes Missverständnis, das unbewusst in vielen Köpfen wohnt: man müsse nur die richtigen Verfahren kennen und anwenden, und dann würde alles wie am Schnürchen laufen. Dann würden gar alle nach der eigenen Pfeife tanzen. Margarinewebung. Friede Freude Eierkuchen. Keine Konflikte, kein Stress – keine sich wiedersetzenden Kinder.
Ich weiß noch, wie ich mich gefühlt habe, als mein Kind mich zum ersten mal mit einem bitterbösen Wort betitelt hat und weggerannt ist. Eigentlich eher mich zur Hölle gewünscht hat. Und neue Eltern wollte. In mir tobte damals ein heftiger Kampf aus Verständnisaufbringen und Zutodebeleidigtsein.
Inzwischen weiß ich, dass eigentlich alle Eltern diese Momente kennen. Das Problem daran ist, dass bei etlichen das Beleidigtsein gewinnt. Sie nehmen das Gesagte persönlich. Sie nehmen ihrem Kind die gezeigte kalte Schulter, die Ablehnung übel.